Musikkritik

Zusammenfassung

Die Musikkritik ist ein Beispiel für das Beharrungsvermögen traditioneller Praktiken im Musikleben und überhaupt im gesellschaftlichen Alltag in der DDR. Trotz aller Versuche, die Musikkritik propagandistisch zu funktionalisieren und inhaltlich gleichzuschalten, behielt sie bis zuletzt ihr bürgerlich-feuilletonistisches Gepräge.1Vgl. dazu Lars Klingberg: Kontrollinstanzen im Musikleben der DDR, in: Musikgeschichte in Mittel- und Osteuropa, Heft 21 (2019), 49–83, 62–64. Alle größeren Tageszeitungen leisteten sich Musikkritiker, die zum Teil hauptamtlich beschäftigt waren. Dabei kamen den Forderungen der Kulturfunktionäre nach der Übernahme der Kriterien des Sozialistischen Realismus nur wenige Kritiker nach. Und selbst bei ihnen handelte es sich bei den älteren nicht selten um bürgerliche Überläufer, die sich schon während der NS-Zeit als anpassungsbereit erwiesen hatten, wie Karl Laux oder der beim SED-Zentralorgan Neues Deutschland tätige Karl Schönewolf.2Laux gehörte der NSDAP nicht an, zeigte sich in seinen Schriften aber sehr systemkonform. Schönewolf war 1938/39 wegen einer homosexuellen Beziehung für fünf Monate inhaftiert und aus der NSDAP ausgeschlossen worden, was jedoch in der DDR nur der Stasi bekannt war (Maren Köster: Musik-Zeit-Geschehen. Zu den Musikverhältnissen in der SBZ/DDR 1945 bis 1952, Saarbrücken 2002, 96–98).

Nischen

Gerade die Zeitungen der Blockparteien bildeten Refugien einer weitgehend autonomen Musikkritik. Beispielsweise konnten in der seit 1945 überregional erscheinenden Tageszeitung Neue Zeit, dem Zentralorgan der DDR-CDU, nicht nur abweichende Meinungen, sondern auch direkte Kritik vergleichsweise offen vorgetragen werden. So berichtete der hier des Öfteren schreibende Wolfgang Hanke nicht nur regelmäßig über kirchenmusikalische Aktivitäten (die in der SED-Presse meistens mit Schweigen übergangen wurden), er setzte auch bei besonders staatsnahen Musikereignissen wie den hallischen Händel-Festspielen der sozusagen offiziellen Deutung von Interpretationen seine eigene entgegen.3Vgl. Juliane Riepe: Die CDU der DDR und ihr Zentralorgan, die Neue Zeit, zwischen Kritik und Affirmation, in: Lars Klingberg und Juliane Riepe: Politische Instrumentalisierung von Musik der Vergangenheit im Deutschland des 20. Jahrhunderts am Beispiel Georg Friedrich Händels, Beeskow 2021 (= Studien der Stiftung Händel-Haus 6), 370–375. Eine vergleichbare Rolle wie Hanke spielte Hans Böhm (eigentlich Edwin Martin Johannes Böhm), der hauptamtlicher Musikkritiker der Dresdner Zeitung Die Union war und darüber hinaus für zahlreiche Zeitungen in Ost und West schrieb. Er leistete sich immer mal wieder Kritik an der DDR-Kulturpolitik und scheute dabei auch den Konflikt mit Autoritäten nicht.4Eckart Schwinger: Ein Porträt von Deutschlands ältestem Musikkritiker: „H.B.“ aus Dresden, in: Der Tagesspiegel, 2. 8. 1999 (online: https://www.tagesspiegel.de/kultur/ein-portraet-von-deutschlands-aeltestem-musikkritiker-h-b-aus-dresden/84518.html). Aber auch im direkt vom Staat kontrollierten medialen Raum waren Nischen möglich. So wurde in dem von 1963 bis 1990 erschienenen, vom Musikrat der DDR herausgegebenen (und von der Forschung bisher noch viel zu wenig beachteten) Bulletin vergleichsweise ideologisch neutral über das Musikleben der DDR berichtet, und auch hier fand die Kirchenmusik, insbesondere in Berichten von Ingeborg Allihn, ihren Platz, was in stärker ideologiekonformen Publikationsorganen wie der vom Komponistenverband herausgegebenen Monatsschrift Musik und Gesellschaft kaum denkbar war.

Disziplinierung

Versuche der Politik, die Musikkritik stärker unter Kontrolle zu bringen und zur Propagierung der von Partei und Staat vertretenen ästhetischen Prinzipien zu bringen, gab es hingegen reichlich, vor allem in der Ära Ulbricht. Immer wieder haben damals Kulturfunktionäre ihren Unmut darüber zum Ausdruck gebracht, dass die Kunstkritik – nicht nur die Musikkritik – sich keiner einheitlichen Methoden und Begrifflichkeiten bediente. In Bezug auf die Literaturkritik äußerte 1951 der Kulturpolitiker Alexander Abusch, es sei „ganz falsch […], daß zehn Kritiker zehn verschiedene Meinungen über ein Werk haben können: daß also literarische Kritik eine anarchische und private, rein persönliche Geschmacksfrage sei“.5Alexander Abusch: Aktuelle Fragen unserer Literatur. Ein Beitrag zur Diskussion (geschrieben im November 1951), in: Der Schriftsteller, Heft 3 (1952), 2–9, 8, Wiederabdruck in: ders.: Literatur und Wirklichkeit. Beiträge zu einer neuen deutschen Literaturgeschichte, Berlin 21953, 299–327, 323; siehe auch den Teilvorabdruck in: Neues Deutschland, Berliner Ausgabe, 7. Jg., Nr. 39 und Nr. 40 vom 15. bzw. 16. 2. 1952, 4 bzw. 6, das Zitat hier in Nr. 40. Den Hinweis auf diese Äußerung verdanke ich dem Aufsatz von Michael Berg: Musik und Diktatur. Vorüberlegungen zum Entwurf einer Geschichte der Musik in der DDR, in: ders.: Materialien zur Musikgeschichte der DDR, Weimar 2001, 7–38, 19, bzw. der früheren Fassung desselben Aufsatzes unter dem Titel: Anmerkungen zur Vor- und Frühgeschichte der DDR-Musik, in: Walpurga Alexander u.a. (Hg.): Miscellaneorum de Musica Concentus. Karl Heller zum 65. Geburtstag am 10. Dezember 2000, Rostock 2000, 233–248, 247. Bezüglich der Musikkritik wurde die Forderung nach inhaltlich gleichen Musikkritiken in der Fach- und Tagespresse erhoben.6Michael Berg: Musik und Diktatur. Vorüberlegungen zum Entwurf einer Geschichte der Musik in der DDR, in: ders.: Materialien zur Musikgeschichte der DDR, Weimar 2001, 7–38, 19, bzw. ders.: Anmerkungen zur Vor- und Frühgeschichte der DDR-Musik, in: Walpurga Alexander u. a. (Hg.): Miscellaneorum de Musica Concentus. Karl Heller zum 65. Geburtstag am 10. Dezember 2000, Rostock 2000, 233–248, 247 f. Demnach handelt es sich um eine im Jahr 1966 erhobene Forderung. Freilich irrte sich Berg bei der Quellenangabe, sodass sich der Sachverhalt und das Datum nicht überprüfen ließen.

Derlei Zuständen abzuhelfen, dienten Schulungsveranstaltungen für Musikkritiker, die schon bald nach der 1951 erfolgten Bildung der Staatlichen Kommission für Kunstangelegenheiten (Stakuko) organisiert wurden. So veranstaltete die Abteilung Musik der Stakuko Kurzlehrgänge zur ideologischen Schulung von Musikkritikern sowie im Mai 1952 eine zweitägige Musikkritikertagung, an der etwa 60 Personen teilnahmen.7[o.A.]: Deutsche Musikkritiker tagten in Berlin, in: MuG 2 (1952), 232. In einer Entschließung wurde u. a. die Überwindung der „Überreste einer konventionell-verbindlichen und versöhnlerischen Aufführungsbesprechung“ gefordert.8Entschließung der Musikkritikertagung vom 17. Mai 1952, in: MuG 2 (1952), 233 f., 234. Doch in der Ära Ulbricht wurden Forderungen wie die zitierte von 1952 des Öfteren erhoben. Beispielsweise wurde 1957 auf einer Musikkritikertagung dekretiert: „Es kann heute nicht mehr zugestanden werden, daß sich einige unserer Rezensenten in kritikloser Bewunderung vor den Äußerungen des Modernismus ergehen oder auch an Gastspiele von Solisten aus der Bundesrepublik und dem kapitalistischen Ausland andere, nämlich niedrigere Maßstäbe anlegen als an Kompositionen und Interpretationen von Künstlern der DDR oder dem sozialistischen Ausland.“9[o. A.]: Wie steht es mit unserer Musikkritik?, in: MuG 7 (1957), 705 f., 706. Noch in den 1960er Jahren sind in Musik und Gesellschaft Rezensenten, die ideologisch zweideutig schrieben, zurechtgewiesen worden.10Fred K. Prieberg, Musik im anderen Deutschland, Köln 1968, 283. Insbesondere in Zeiten, in denen die SED einen härteren kulturpolitischen Kurs verfolgte, beispielsweise nach dem ‚Kahlschlag‘-Plenum vom Dezember 1965, mussten Musikkritiker, die von den Wertmaßstäben des Sozialistischen Realismus abwichen, damit rechnen, angeprangert zu werden. Immer wieder skandalisierte in den 1960er Jahren der damalige Chefredakteur von Musik und Gesellschaft, Hansjürgen Schaefer, Kritiker, die „im offensichtlichen Streben, ‚zeitgemäß‘ zu sein“, neue Werke lediglich danach betrachteten, „wie ‚neu‘ die Techniken und Kompositionsmethoden sind, die jeweils zur Anwendung kamen“.11Hansjürgen Schaefer: Moderne Kunst – sozialistische Kunst. Gedanken nach der 11. Tagung des ZK der SED, in: MuG 16 (1966), 73–78 und 145–147, 75. Vgl. den auszughaften Wiederabdruck dieses Artikels in Ulrich Dibelius und Frank Schneider (Hg.): Neue Musik im geteilten Deutschland, Bd. 2: Dokumente aus den sechziger Jahren, Berlin 1995, 75–77, 75. Er warnte vor der Übernahme von Begriffen aus der „bürgerlichen Publizistik“ wie „Neue Musik“, „zeitgenössisch“ oder „zeitgemäß“.12Hansjürgen Schaefer: Musikkritik hier und heute, in: MuG 17 (1967), 217–226, 223. Vgl. Fred K. Prieberg: Musik im anderen Deutschland, Köln 1968, 283. „Der sozialistische Kritiker“, so Schaefer, hätte mehr zu leisten als „der Rezensent bürgerlichen Typs“; er sei in der Lage, „aktiv, nicht nur im kritischen Nachhinein an der Entwicklung unserer sozialistischen Musikkultur teilzunehmen“;13Fred K. Prieberg: Musik im anderen Deutschland, Köln 1968, 225. seine Aufgabe sei es, „mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln (nicht zuletzt allen ihm zur Verfügung stehenden journalistischen Genres, unter denen das der Rezension nur eines von vielen ist) für die Durchsetzung der Kulturpolitik unseres Staates zu kämpfen“.14Fred K. Prieberg: Musik im anderen Deutschland, Köln 1968, 219.

Dennoch ist kein Fall bekannt geworden, dass ein von den Machthabern an den Pranger gestellter Musikkritiker mit Berufsverbot belegt worden wäre. Beispielsweise standen dem Dresdner Kritiker Gottfried Schmiedel, dem 1957 in Musik und Gesellschaft vorgeworfen wurde, in mehreren Tageszeitungen „mit überschwenglichen Worten die Donaueschinger Musiktage verherrlicht“ zu haben, „die bekanntlich in Westdeutschland alljährlich ein Sammelbecken der bürgerlichen Dekadenz in der Musik sind“,15[o. A.]: Wie steht es mit unserer Musikkritik?, in: MuG 7 (1957), 705 f., 706; siehe auch Hans Pischner: Jede echte Musikkritik ein Baustein zur Musikwissenschaft, in: MuG 8 (1958), 4–11, 8. Vgl. Fred K. Prieberg: Musik im anderen Deutschland, Köln 1968, 282. auch künftig die Spalten verschiedener Zeitungen zur Verfügung. Auch später eckte der Jazz-Begeisterte immer mal wieder an. Wegen seiner Zusammenarbeit mit dem RIAS-Korrespondenten Horst Wenderoth überwachte das MfS Schmiedel zwischen 1982 und 1984 in einer Operativen Personenkontrolle (OPK „Musiker“).16BArch, MfS, BV Dresden, AOPK, Nr. 798/84; vgl. Lars Klingberg: Der Bezirksverband Dresden des Komponistenverbandes der DDR (Teil 2), in: Matthias Herrmann und Stefan Weiss (Hg.): Dresden und die avancierte Musik im 20. Jahrhundert. Teil III: 1966–1999, Laaber 2004, 31–65, 40.

Systematisierung

Bereits in den 1950er Jahren war bei Kulturpolitikern der Wunsch aufgekommen, die Musikkritik zu systematisieren und an einheitlichen Begriffen auszurichten. Der Stellvertreter des Ministers für Kultur Hans Pischner formulierte es auf einer Musikkritikerkonferenz im Dezember 1957 folgendermaßen: „Unsere Musikkritik führt bei weiten noch nicht ihre wirklich parteiliche, politisch erzieherische und bewußtseinsbildende Funktion durch. Was uns noch fehlt, ist eine wirklich systematische Musikkritik. Wir sind noch viel zu sehr Zufälligkeiten ausgeliefert.“17Hans Pischner: Jede echte Musikkritik ein Baustein zur Musikwissenschaft, in: MuG 8 (1958), 4–11, 5f. Das Fehlen einer solchen Systematik hing zusammen mit einer weitgehend unklaren und nicht verbindlichen musiktheoretischen Grundlage. Was eigentlich Sozialistischer Realismus sein soll, wurde nie genau definiert. Einem entsprechenden Wunsch von Verbandsmitgliedern nachkommend, hatte Nathan Notowicz deshalb im Rechenschaftsbericht der Zentralen Delegiertenkonferenz des VDK im Februar 1957 angekündigt, dass diese Frage „Gegenstand einer eigenen theoretischen Konferenz“ sein sollte.18Nathan Notowicz: Wo stehen wir heute?, in: MuG 7 (1957), 129–134, 133. Eine solche Konferenz fand jedoch erst im Dezember 1966 statt. Sie wurde zum Auftakt einer ganzen Serie „Theoretischer Konferenzen“. Der Cheftheoretiker des Komponistenverbandes, Heinz Alfred Brockhaus, stellte auf den ersten beiden Konferenzen – die zweite fand im Januar 1968 statt – ein von ihm ausgearbeitetes und zur Übernahme durch die Musikkritik bestimmtes „Kategoriensystem“ zur Vereinheitlichung der Analyse zeitgenössischer Kompositionen vor.19Heinz Alfred Brockhaus: Probleme der musikalischen Analyse, in: MuG 17 (1967), 433–446; ders.: Probleme des Kategoriensystems, in: MuG 18 (1968), 145–157, Wiederabdruck (leicht gekürzt) in: BzMw 11 (1969), 245–257. Unter dem Titel Probleme der musikalischen Analyse ist später eine Kompilation aus den wichtigsten Teilen beider Texte in einem westdeutschen Sammelband erschienenen: Gerhard Schuhmacher (Hg.): Zur musikalischen Analyse, Darmstadt 1974, 618–643. Darin unterschied er „Material“ (bzw. „Mittel“) und „Methode“ (bzw. „Gestaltungsweise“) und sprach im Überbegriff von „definierbaren Kategorien“ bzw. „kategoriellen Operationsebenen“.20Dazu ausführlicher Lars Klingberg: Die Debatte um Eisler und die Zwölftontechnik in der DDR in den 1960er Jahren, in: Michael Berg, Albrecht von Massow und Nina Noeske (Hg.): Zwischen Macht und Freiheit. Neue Musik in der DDR, Köln, Weimar und Wien 2004 (= KlangZeiten 1), 39–61, 53f. Brockhaus’ Systematisierungsbemühungen blieben jedoch letztlich ohne nennenswerte gesellschaftliche Resonanz; die totalitäre Energie des Apparats war offenbar nicht stark genug, sodass dieser Versuch einer Gleichschaltung der Musikkritik im Sande verlief.

Entideologisierung

In der Ära Honecker fanden die Versuche zur Reglementierung der Kritiker zwar keineswegs ein Ende, doch beschränkten sich nunmehr die diesbezüglichen Forderungen der Partei auf Allgemeinplätze. Hansjürgen Schaefer, Musikkritiker des Neuen Deutschlands und einer derjenigen, die noch kurz zuvor mehr Gleichschritt gefordert hatten, unterstützte jetzt den Wunsch seiner Berufskollegen nach mehr Autonomie und postulierte: „Wir lehnen in Kunst und Kunsttheorie als Marxisten unschöpferisches Rezeptdenken ab. Und wir sollten als Kritiker nicht von der Wissenschaft Rezepte fordern.“21Hansjürgen Schaefer: Aufgaben und Probleme der Musikkritik, in: MuG 25 (1975), 585–593, 590. In einem die „Aufgaben der Literatur- und Kunstkritik“ definierenden Beschluss des SED-Politbüros vom 8. November 1977,22Aufgaben der Literatur- und Kunstkritik. Beschluß des Politbüros des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, in: Sonntag, 31. Jg., Nr. 48 vom 27. 11. 1977, 2 f., Wiederabdruck in: Peter Lübbe (Hg.): Dokumente zur Kunst-, Literatur- und Kulturpolitik der SED 1975–1980, Stuttgart 1984, 460–462 (Dok. 127). der anschließend seitens des Komponistenverbandes auch für die Musikkritik für verbindlich erklärt wurde,23Liesel Markowski: Kunstkritik in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft, in: MuG 28 (1978), 1 f. war nur noch von einer generellen ‚Förderung‘ des Kunstverständnisses der Bevölkerung die Rede:

„Die Literatur- und Kunstkritik fördert die ideologische Wirkung der Literatur und Kunst in unserer sozialistischen Gesellschaft. Sie erschließt den Werktätigen Zugang zu neuen Werken der Literatur und Kunst, zu bedeutsamen Leistungen des Kulturerbes und seiner Interpretation, fördert das Verständnis für die ästhetische Eigenart und besondere Wirkungsweise der Kunst, vermittelt Maßstäbe und Kriterien zur sachkundigen Beurteilung und differenzierten Bewertung von künstlerischen Leistungen und regt die öffentliche Diskussion über neue Kunstwerke an.“24Aufgaben der Literatur- und Kunstkritik. Beschluß des Politbüros des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, in: Sonntag, 31. Jg., Nr. 48 vom 27. 11. 1977, 2 f., Wiederabdruck in: Peter Lübbe (Hg.): Dokumente zur Kunst-, Literatur- und Kulturpolitik der SED 1975–1980, Stuttgart 1984, 460–462 (Dok. 127), 460.

Im Komponistenverband wurde im Dezember 1978 in Frankfurt (Oder) eigens zur „weiteren Auswertung“ dieses Politbürobeschlusses eine Musikkritikertagung veranstaltet, deren Grundlage ein Referat war, „das von einigen Mitgliedern der Arbeitsgruppe Musikkritik beim VKM kollektiv erarbeitet und von Konrad Niemann, Leiter dieser Arbeitsgruppe und Sekretär des Verbandes, vorgetragen wurde“.25So im redaktionellen Vorspann des Artikels: Musikkritik in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft, in: MuG 29 (1979), 148–157, 148. Auch der Komponistenverband sah „die Funktionsbestimmung und Aufgabenstellung der Musikkritik“ inzwischen weniger in der Rolle eines Erziehers als in der eines „Partners“: „Widerspiegelung des Musiklebens; Beeinflussung des Musiklebens seiner den gesellschaftlichen Erfordernissen gemäßen Entwicklung; Partner des Rezipienten; Partner des Komponisten; Partner des Interpreten“.26Musikkritik in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft, in: MuG 29 (1979), 148–157, 149. Diese Tendenz setzte sich immer mehr fort. In den späten Jahren der DDR erhielten die Musikkritikertagungen – neben den zentralen gab es auch lokale, von einzelnen Bezirksverbänden des Komponistenverbandes organisierte Tagungen – immer mehr lediglich unverbindlichen, informativen Charakter. Stillschweigend hatte man das ursprüngliche Ziel einer ästhetischen Gleichschaltung allmählich aufgegeben.

Anmerkungen

  1. Vgl. dazu Lars Klingberg: Kontrollinstanzen im Musikleben der DDR, in: Musikgeschichte in Mittel- und Osteuropa, Heft 21 (2019), 49–83, 62–64.
  2. Laux gehörte der NSDAP nicht an, zeigte sich in seinen Schriften aber sehr systemkonform. Schönewolf war 1938/39 wegen einer homosexuellen Beziehung für fünf Monate inhaftiert und aus der NSDAP ausgeschlossen worden, was jedoch in der DDR nur der Stasi bekannt war (Maren Köster: Musik-Zeit-Geschehen. Zu den Musikverhältnissen in der SBZ/DDR 1945 bis 1952, Saarbrücken 2002, 96–98).
  3. Vgl. Juliane Riepe: Die CDU der DDR und ihr Zentralorgan, die Neue Zeit, zwischen Kritik und Affirmation, in: Lars Klingberg und Juliane Riepe: Politische Instrumentalisierung von Musik der Vergangenheit im Deutschland des 20. Jahrhunderts am Beispiel Georg Friedrich Händels, Beeskow 2021 (= Studien der Stiftung Händel-Haus 6), 370–375.
  4. Eckart Schwinger: Ein Porträt von Deutschlands ältestem Musikkritiker: „H.B.“ aus Dresden, in: Der Tagesspiegel, 2. 8. 1999 (online: https://www.tagesspiegel.de/kultur/ein-portraet-von-deutschlands-aeltestem-musikkritiker-h-b-aus-dresden/84518.html).
  5. Alexander Abusch: Aktuelle Fragen unserer Literatur. Ein Beitrag zur Diskussion (geschrieben im November 1951), in: Der Schriftsteller, Heft 3 (1952), 2–9, 8, Wiederabdruck in: ders.: Literatur und Wirklichkeit. Beiträge zu einer neuen deutschen Literaturgeschichte, Berlin 21953, 299–327, 323; siehe auch den Teilvorabdruck in: Neues Deutschland, Berliner Ausgabe, 7. Jg., Nr. 39 und Nr. 40 vom 15. bzw. 16. 2. 1952, 4 bzw. 6, das Zitat hier in Nr. 40. Den Hinweis auf diese Äußerung verdanke ich dem Aufsatz von Michael Berg: Musik und Diktatur. Vorüberlegungen zum Entwurf einer Geschichte der Musik in der DDR, in: ders.: Materialien zur Musikgeschichte der DDR, Weimar 2001, 7–38, 19, bzw. der früheren Fassung desselben Aufsatzes unter dem Titel: Anmerkungen zur Vor- und Frühgeschichte der DDR-Musik, in: Walpurga Alexander u.a. (Hg.): Miscellaneorum de Musica Concentus. Karl Heller zum 65. Geburtstag am 10. Dezember 2000, Rostock 2000, 233–248, 247.
  6. Michael Berg: Musik und Diktatur. Vorüberlegungen zum Entwurf einer Geschichte der Musik in der DDR, in: ders.: Materialien zur Musikgeschichte der DDR, Weimar 2001, 7–38, 19, bzw. ders.: Anmerkungen zur Vor- und Frühgeschichte der DDR-Musik, in: Walpurga Alexander u. a. (Hg.): Miscellaneorum de Musica Concentus. Karl Heller zum 65. Geburtstag am 10. Dezember 2000, Rostock 2000, 233–248, 247 f. Demnach handelt es sich um eine im Jahr 1966 erhobene Forderung. Freilich irrte sich Berg bei der Quellenangabe, sodass sich der Sachverhalt und das Datum nicht überprüfen ließen.
  7. [o.A.]: Deutsche Musikkritiker tagten in Berlin, in: MuG 2 (1952), 232.
  8. Entschließung der Musikkritikertagung vom 17. Mai 1952, in: MuG 2 (1952), 233 f., 234.
  9. [o. A.]: Wie steht es mit unserer Musikkritik?, in: MuG 7 (1957), 705 f., 706.
  10. Fred K. Prieberg, Musik im anderen Deutschland, Köln 1968, 283.
  11. Hansjürgen Schaefer: Moderne Kunst – sozialistische Kunst. Gedanken nach der 11. Tagung des ZK der SED, in: MuG 16 (1966), 73–78 und 145–147, 75. Vgl. den auszughaften Wiederabdruck dieses Artikels in Ulrich Dibelius und Frank Schneider (Hg.): Neue Musik im geteilten Deutschland, Bd. 2: Dokumente aus den sechziger Jahren, Berlin 1995, 75–77, 75.
  12. Hansjürgen Schaefer: Musikkritik hier und heute, in: MuG 17 (1967), 217–226, 223. Vgl. Fred K. Prieberg: Musik im anderen Deutschland, Köln 1968, 283.
  13. Fred K. Prieberg: Musik im anderen Deutschland, Köln 1968, 225.
  14. Fred K. Prieberg: Musik im anderen Deutschland, Köln 1968, 219.
  15. [o. A.]: Wie steht es mit unserer Musikkritik?, in: MuG 7 (1957), 705 f., 706; siehe auch Hans Pischner: Jede echte Musikkritik ein Baustein zur Musikwissenschaft, in: MuG 8 (1958), 4–11, 8. Vgl. Fred K. Prieberg: Musik im anderen Deutschland, Köln 1968, 282.
  16. BArch, MfS, BV Dresden, AOPK, Nr. 798/84; vgl. Lars Klingberg: Der Bezirksverband Dresden des Komponistenverbandes der DDR (Teil 2), in: Matthias Herrmann und Stefan Weiss (Hg.): Dresden und die avancierte Musik im 20. Jahrhundert. Teil III: 1966–1999, Laaber 2004, 31–65, 40.
  17. Hans Pischner: Jede echte Musikkritik ein Baustein zur Musikwissenschaft, in: MuG 8 (1958), 4–11, 5f.
  18. Nathan Notowicz: Wo stehen wir heute?, in: MuG 7 (1957), 129–134, 133.
  19. Heinz Alfred Brockhaus: Probleme der musikalischen Analyse, in: MuG 17 (1967), 433–446; ders.: Probleme des Kategoriensystems, in: MuG 18 (1968), 145–157, Wiederabdruck (leicht gekürzt) in: BzMw 11 (1969), 245–257. Unter dem Titel Probleme der musikalischen Analyse ist später eine Kompilation aus den wichtigsten Teilen beider Texte in einem westdeutschen Sammelband erschienenen: Gerhard Schuhmacher (Hg.): Zur musikalischen Analyse, Darmstadt 1974, 618–643.
  20. Dazu ausführlicher Lars Klingberg: Die Debatte um Eisler und die Zwölftontechnik in der DDR in den 1960er Jahren, in: Michael Berg, Albrecht von Massow und Nina Noeske (Hg.): Zwischen Macht und Freiheit. Neue Musik in der DDR, Köln, Weimar und Wien 2004 (= KlangZeiten 1), 39–61, 53f.
  21. Hansjürgen Schaefer: Aufgaben und Probleme der Musikkritik, in: MuG 25 (1975), 585–593, 590.
  22. Aufgaben der Literatur- und Kunstkritik. Beschluß des Politbüros des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, in: Sonntag, 31. Jg., Nr. 48 vom 27. 11. 1977, 2 f., Wiederabdruck in: Peter Lübbe (Hg.): Dokumente zur Kunst-, Literatur- und Kulturpolitik der SED 1975–1980, Stuttgart 1984, 460–462 (Dok. 127).
  23. Liesel Markowski: Kunstkritik in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft, in: MuG 28 (1978), 1 f.
  24. Aufgaben der Literatur- und Kunstkritik. Beschluß des Politbüros des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, in: Sonntag, 31. Jg., Nr. 48 vom 27. 11. 1977, 2 f., Wiederabdruck in: Peter Lübbe (Hg.): Dokumente zur Kunst-, Literatur- und Kulturpolitik der SED 1975–1980, Stuttgart 1984, 460–462 (Dok. 127), 460.
  25. So im redaktionellen Vorspann des Artikels: Musikkritik in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft, in: MuG 29 (1979), 148–157, 148.
  26. Musikkritik in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft, in: MuG 29 (1979), 148–157, 149.

Autor:innen

Erwähnt in

Zensur und SelbstzensurIn Berlin beginnt eine Musikkritikertagung (16./17. Mai 1952)In Leipzig beginnt eine Arbeitstagung der Musikkritiker (21./22. Februar 1967)Beschluss des Politbüros über die „Aufgaben der Literatur- und Kunstkritik“

Zitierempfehlung

Lars Klingberg, Artikel „Musikkritik“, in: Musikgeschichte Online, hg. von Lars Klingberg, Nina Noeske und Matthias Tischer, 2018ff. Stand vom 14.09.2022, online verfügbar unter https://mugo.hfmt-hamburg.de/de/topics/musikkritik, zuletzt abgerufen am 19.03.2024.