Kirchenmusik [Kurzfassung]

[Kurzfassung; endgültige Fassung in Vorbereitung]

Kirchenmusik1Hier verstanden als geistliche Musik im Sinne von Musik mit christlich-religiösen Bezügen. Vgl. Anonym: Kirchenmusik, in: Riemann Musik Lexikon, Bd. 3, Mainz 2012, 41. und kirchenmusikalische Praktiken standen in der DDR in einem (im zeitlichen Verlauf und auch regional unterschiedlich stark ausgeprägten) Spannungsfeld zwischen den der Musik immanenten christlich-religiösen Bezügen und dem von der SED forcierten „Erziehungsziel Atheismus“,2V. Albrecht-Birkner: Freiheit in Grenzen. Protestantismus in der DDR, Leipzig 2018, 42. was in verschiedenen kirchenmusikbezogenen staatlichen Restriktionen zum Ausdruck kam.3Deutlich wird dies bspw. an den zum Ende der 1950er Jahre zunehmenden Konflikten um die Mitwirkung staatlicher Orchester bei kirchenmusikalischen Veranstaltungen sowie an Schwierigkeiten beim Erhalt von Genehmigungen für grenzüberschreitende Reisen oder für den Druck von Werbematerialien für kirchliche Konzertveranstaltungen. W. Hanke: Wirkungslose Behinderungsversuche: Zur Situation der Bach-Pflege in den Kirchen der DDR, in: H.-J. Schulze, U. Leisinger, P. Wollny (Hg.): Passionsmusiken im Umfeld Johann Sebastian Bachs – Bach unter den Diktaturen 1933–1945 und 1945–1989. Bericht über die Wissenschaftliche Konferenz anläßlich des 69. Bach-Festes der Neuen Bachgesellschaft. Leipzig, 29. und 30. März 1994, Hildesheim, Zürich, New York 1995, 257 ff. Gleichzeitig bestand das kulturpolitische Bestreben, ausgewählte Kompositionen besonders stark kanonisierter Komponisten in hoher künstlerischer Qualität und für breite Bevölkerungsschichten zugänglich zur Aufführung zu bringen, um so einen würdigen Umgang der DDR mit dem sogenannten „kulturellen Erbe“ und damit einhergehend die aus staatlicher Perspektive bestehende Überlegenheit der sozialistischen Gesellschaftsordnung öffentlichkeitswirksam zu präsentieren. Dabei schien die staatliche Förderung kirchenmusikalischer Aufführungen im Wesentlichen auf besonders renommierte (städtische) Ensembles – wie beispielsweise den Leipziger Thomanerchor oder den Dresdener Kreuzchor – oder auf groß angelegte Jubiläumsveranstaltungen (z. B. Deutsche Bachfeier 1950; Händel-Ehrung der DDR 1959; Bach-Händel-Schütz-Ehrung der DDR 1985) beschränkt gewesen und mit dem Bestreben, die Aufführungen bevorzugt in öffentlichen Konzerthäusern und damit losgelöst vom kirchlichen Einflussbereich zu veranstalten, einhergegangen zu sein.4Zur Förderung des sogenannten „Klassischen Kulturerbes“ durch die SED vgl. bspw. „Nationales Bekenntnis zu Bach. Stellungnahme des Parteivorstandes der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands zum Bach-Jahr, 19. März 1950“, abgedruckt in: E. Schubbe (Hg.): Dokumente zur Kunst-, Literatur- und Kulturpolitik der SED, Stuttgart 1972, 134–135 oder K. Hager: Zu Fragen der Kulturpolitik der SED, Ost-Berlin 1975, 54–58; vgl. H. Eschenburg: Kirchenmusik und Bach-Pflege in der DDR, in: H.-J. Schulze, U. Leisinger, P. Wollny (Hg): Passionsmusiken im Umfeld Johann Sebastian Bachs – Bach unter den Diktaturen 1933–1945 und 1945–1989. Bericht über die Wissenschaftliche Konferenz anläßlich des 69. Bach-Festes der Neuen Bachgesellschaft. Leipzig, 29. und 30. März 1994, Hildesheim, Zürich, New York 1995, 253 ff.

Eine zentrale kulturpolitische Aufgabe der staatlich protegierten Musikwissenschaft bestand darin, die „Musiktraditionen vom Standpunkt des dialektischen und historischen Materialismus zu untersuchen“5Dieses und das folgende Zitat: „Konzeption für die kulturelle und gesellschaftliche Entwicklung in der Stadt Leipzig im Sieben-Jahrplan“ aus dem Archivbestand der Abteilung Kultur des Rates des Stadt Leipzig von 1959, StadtAL StVuR Nr. 7997, Bl. 72. und „zu neuen Wertungen zu gelangen“, wodurch eine den staatlichen Auffassungen entsprechende Interpretation der kulturpolitisch relevanten Werke ermöglicht werden sollte.6Vgl. Ebd. Zu den verbreiteten Deutungsmustern kirchenmusikalischer Kompositionen gehörte es, christliche Bezüge lediglich als eine religiöse Gewandung eigentlich säkularer Werke zu verstehen und kirchenmusikalisches Handeln berühmter Komponisten als Reaktion auf die zu ihren Lebzeiten noch rückständige Gesellschaftsordnung oder als schlichte Erfüllung von Amtspflichten herauszustellen.7Vgl. L. Klingberg: Die SED-interne Debatte um die Religiosität von Händels Messias 1958, in: Händel-Jahrbuch 59 (2013), 339; vgl. H.-J. Schulze: Vom Wandel des Bach-Bildes in der (ehemaligen) DDR, in: B. Martini, S. Nusser (Hg.): Musik, Kirchenmusik, Theologie. Festschrift für Christoph Krummacher zum 65. Geburtstag, München 2014, 106; vgl. L. Klingberg: Politisch fest in unseren Händen. Musikalische und musikwissenschaftliche Gesellschaften in der DDR. Dokumente und Analysen, Kassel u. a. 1997, 82.

Die Ausbildung von Kirchenmusikerinnen wurde in der DDR vornehmlich von den Kirchenmusikschulen der evangelischen Kirche in Halle (A-Prüfung), Dresden, Greifswald, Görlitz sowie der Abteilung für Kirchenmusik des Kirchlichen Seminars in Eisenach getragen. Zudem bestand an den Hochschulen für Musik in Leipzig und Weimar (Fachbereich Orgel) die Möglichkeit zur hauptamtlichen Kirchenmusikausbildung.8Vgl. W. Hanke: Kirchenmusik in der DDR. Eine erste Bestandsaufnahme, Berlin [Ost] 1983, 14 f. In der kirchlichen Praxis war insbesondere für Absolventinnen mit B-Prüfung das Berufsmodell des „Kantorkatecheten“ weit verbreitet, bei dem der kirchenmusikalische Dienst mit einer religionspädagogischen Tätigkeit kombiniert wurde.9Vgl. C. Brödel: Unter Kreuz, Hammer, Zirkel und Ährenkranz. Kirchenmusik in der DDR, Leipzig 2018, 87 ff.

Besonders renommierte und mit dem Nationalpreis der DDR ausgezeichnete Kirchenmusiker waren die Thomaskantoren Günther Ramin und Hans-Joachim Rotzsch, die Kreuzkantoren Rudolf Mauersberger und Martin Flämig sowie die Organisten Herbert Collum, Johannes Ernst Köhler und Amadeus Webersinke.10Vgl. W. Hanke: Kirchenmusik in der DDR. Eine erste Bestandsaufnahme, Berlin [Ost] 1983, 4 f. Als bedeutende Komponisten sakraler Musik gelten u. a. Johannes Petzold, Georg Trexler, Wilhelm Weismann, Johannes Weyrauch und in der jüngeren Generation Volker Bräutigam und Jörg Herchet. Renommierte Chöre mit schwerpunktmäßig sakralem Repertoire waren u. a. der Leipziger Thomanerchor und der Dresdner Kreuzchor sowie unter kirchlicher Trägerschaft der Rostocker Motettenchor, der Magdeburger Domchor und die Berliner Domkantorei.11Für eine umfangreiche Auflistung von Kirchenmusiker*innen und vornehmlich kirchenmusikalisch tätigen Ensembles aus der DDR siehe: C. Brödel: Unter Kreuz, Hammer, Zirkel und Ährenkranz. Kirchenmusik in der DDR, Leipzig 2018. Zu den profilierten Sänger*innen im Bereich der Kirchenmusik zählten u.a. Adele Stolte (Sopran), Gerda Schriever (Alt), Hans-Joachim Rotzsch (Tenor), Peter Schreier (Tenor) und Hermann Christian Polster (Bass). In der DDR zu kirchenmusikalischen Themen publiziert haben u.a. Hans Böhm (Kirchenmusik heute. Gedanken über Aufgaben und Probleme der der Musica Sacra, 1959) und Wolfgang Hanke (Kirchenmusik in der DDR. Eine erste Bestandsaufnahme, 1983).

Literatur- und Quellenverzeichnis

Albrecht-Birkner, V.: Freiheit in Grenzen. Protestantismus in der DDR, Leipzig 2018.

Anonym: Kirchenmusik, in: Riemann Musik Lexikon, Bd. 3, Mainz 2012, 41–43.

Böhm, H. (Hg.): Kirchenmusik heute. Gedanken über Aufgaben und Probleme der Musica Sacra, Berlin [Ost] 1959.

Brödel, C.: Unter Kreuz, Hammer, Zirkel und Ährenkranz. Kirchenmusik in der DDR, Leipzig 2018, 87–91.

Eschenburg, H.: Kirchenmusik und Bach-Pflege in der DDR, in: H.-J. Schulze, U. Leisinger, P. Wollny (Hg.): Passionsmusiken im Umfeld Johann Sebastian Bachs – Bach unter den Diktaturen 1933–1945 und 1945–1989. Bericht über die Wissenschaftliche Konferenz anläßlich des 69. Bach-Festes der Neuen Bachgesellschaft. Leipzig, 29. und 30. März 1994, Hildesheim, Zürich, New York 1995, 253–256.

Hager, K.: Zu Fragen der Kulturpolitik der SED, Berlin [Ost] 1975.

Hanke, W.: Kirchenmusik in der DDR. Eine erste Bestandsaufnahme, Berlin [Ost] 1983.

Hanke, W.: Wirkungslose Behinderungsversuche: Zur Situation der Bach-Pflege in den Kirchen der DDR, in: H.-J. Schulze, U. Leisinger, P. Wollny (Hg.): Passionsmusiken im Umfeld Johann Sebastian Bachs – Bach unter den Diktaturen 1933–1945 und 1945–1989. Bericht über die Wissenschaftliche Konferenz anläßlich des 69. Bach-Festes der Neuen Bachgesellschaft. Leipzig, 29. und 30. März 1994, Hildesheim, Zürich, New York 1995, 257–267.

Klingberg, L.: Die SED-interne Debatte um die Religiosität von Händels Messias 1958, in: Händel-Jahrbuch 59 (2013), 337–345.

Klingberg, L.: Politisch fest in unseren Händen. Musikalische und musikwissenschaftliche Gesellschaften in der DDR. Dokumente und Analysen, Kassel u. a. 1997.

Schubbe, E. (Hg.): Dokumente zur Kunst-, Literatur- und Kulturpolitik der SED, Stuttgart 1972.

Schulze, H.-J.: Vom Wandel des Bach-Bildes in der (ehemaligen) DDR, in: B. Martini, S. Nusser (Hg.): Musik, Kirchenmusik, Theologie. Festschrift für Christoph Krummacher zum 65. Geburtstag, München 2014, 105–109.

Archivquellen

StadtAL StVuR Nr. 7997, Bl. 71–81.

Anmerkungen

  1. Hier verstanden als geistliche Musik im Sinne von Musik mit christlich-religiösen Bezügen. Vgl. Anonym: Kirchenmusik, in: Riemann Musik Lexikon, Bd. 3, Mainz 2012, 41.
  2. V. Albrecht-Birkner: Freiheit in Grenzen. Protestantismus in der DDR, Leipzig 2018, 42.
  3. Deutlich wird dies bspw. an den zum Ende der 1950er Jahre zunehmenden Konflikten um die Mitwirkung staatlicher Orchester bei kirchenmusikalischen Veranstaltungen sowie an Schwierigkeiten beim Erhalt von Genehmigungen für grenzüberschreitende Reisen oder für den Druck von Werbematerialien für kirchliche Konzertveranstaltungen. W. Hanke: Wirkungslose Behinderungsversuche: Zur Situation der Bach-Pflege in den Kirchen der DDR, in: H.-J. Schulze, U. Leisinger, P. Wollny (Hg.): Passionsmusiken im Umfeld Johann Sebastian Bachs – Bach unter den Diktaturen 1933–1945 und 1945–1989. Bericht über die Wissenschaftliche Konferenz anläßlich des 69. Bach-Festes der Neuen Bachgesellschaft. Leipzig, 29. und 30. März 1994, Hildesheim, Zürich, New York 1995, 257 ff.
  4. Zur Förderung des sogenannten „Klassischen Kulturerbes“ durch die SED vgl. bspw. „Nationales Bekenntnis zu Bach. Stellungnahme des Parteivorstandes der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands zum Bach-Jahr, 19. März 1950“, abgedruckt in: E. Schubbe (Hg.): Dokumente zur Kunst-, Literatur- und Kulturpolitik der SED, Stuttgart 1972, 134–135 oder K. Hager: Zu Fragen der Kulturpolitik der SED, Ost-Berlin 1975, 54–58; vgl. H. Eschenburg: Kirchenmusik und Bach-Pflege in der DDR, in: H.-J. Schulze, U. Leisinger, P. Wollny (Hg): Passionsmusiken im Umfeld Johann Sebastian Bachs – Bach unter den Diktaturen 1933–1945 und 1945–1989. Bericht über die Wissenschaftliche Konferenz anläßlich des 69. Bach-Festes der Neuen Bachgesellschaft. Leipzig, 29. und 30. März 1994, Hildesheim, Zürich, New York 1995, 253 ff.
  5. Dieses und das folgende Zitat: „Konzeption für die kulturelle und gesellschaftliche Entwicklung in der Stadt Leipzig im Sieben-Jahrplan“ aus dem Archivbestand der Abteilung Kultur des Rates des Stadt Leipzig von 1959, StadtAL StVuR Nr. 7997, Bl. 72.
  6. Vgl. Ebd.
  7. Vgl. L. Klingberg: Die SED-interne Debatte um die Religiosität von Händels Messias 1958, in: Händel-Jahrbuch 59 (2013), 339; vgl. H.-J. Schulze: Vom Wandel des Bach-Bildes in der (ehemaligen) DDR, in: B. Martini, S. Nusser (Hg.): Musik, Kirchenmusik, Theologie. Festschrift für Christoph Krummacher zum 65. Geburtstag, München 2014, 106; vgl. L. Klingberg: Politisch fest in unseren Händen. Musikalische und musikwissenschaftliche Gesellschaften in der DDR. Dokumente und Analysen, Kassel u. a. 1997, 82.
  8. Vgl. W. Hanke: Kirchenmusik in der DDR. Eine erste Bestandsaufnahme, Berlin [Ost] 1983, 14 f.
  9. Vgl. C. Brödel: Unter Kreuz, Hammer, Zirkel und Ährenkranz. Kirchenmusik in der DDR, Leipzig 2018, 87 ff.
  10. Vgl. W. Hanke: Kirchenmusik in der DDR. Eine erste Bestandsaufnahme, Berlin [Ost] 1983, 4 f.
  11. Für eine umfangreiche Auflistung von Kirchenmusiker*innen und vornehmlich kirchenmusikalisch tätigen Ensembles aus der DDR siehe: C. Brödel: Unter Kreuz, Hammer, Zirkel und Ährenkranz. Kirchenmusik in der DDR, Leipzig 2018.

Autor:innen

Zitierempfehlung

Andreas Lueken, Artikel „Kirchenmusik [Kurzfassung]“, in: Musikgeschichte Online, hg. von Lars Klingberg, Nina Noeske und Matthias Tischer, 2018ff. Stand vom 14.09.2022, online verfügbar unter https://mugo.hfmt-hamburg.de/de/topics/kirchenmusik-kurzfassung, zuletzt abgerufen am 26.04.2024.