Heiteres Musiktheater: Operette, Musical, Musikalisches Lustspiel

Zusammenfassung

Operette, Musical und Musikalisches Lustspiel hatten in der DDR als vom Publikum bevorzugte Bühnenwerke einen besonderen Stellenwert. In den Fachtagungen der Sektion Musiktheater des Verbandes der Theaterschaffenden (gegründet 1966) sowie in den Fachmagazinen Musik und Gesellschaft und Theater der Zeit wurden Werke in Hinblick auf ihre Eignung für eine politisch linientreue Rezeption und Aneignung im Sinne des Sozialistischen Realismus erörtert. Durch die Methodik der ‚dialektischen Analyse‘ ergab sich in den Gremien und Diskussionsforen ein dehnbarer Aktions- und Interpretationsspielraum, der Modifikationen von Festlegungen zuließ. Werke vergangener Epochen gehörten zum Kanon des ‚progressiven Erbes‘, wenn Ansätze zu einer positiven Interpretation im Sinne des Klassenkampfes (z. B. Stubenmädchen gegen Dienstherrin in Die Fledermaus) und Kritik am Bürgertum (z. B. Völlerei und Besitzgier in Der Vetter aus Dingsda) in den Handlungen erkennbar waren.
Für die Rezeption der Operettenproduktion vor 1945 galt das Theorem des Verfalls der Kunstform in parallelem Niedergang mit der bürgerlichen Gesellschaft (‚spätbürgerliche Operette‘). Als Höhepunkt der Operette wurde das Schaffen von Jacques Offenbach betrachtet, den Schwerpunkt der Spielpläne bildeten (trotz intensiver Bemühung um Erneuerung des Repertoires durch neue Stücke) Wiener und einige vor der Machtergreifung entstandene Berliner Operetten. Um den Erhalt einzelner für die DDR ungeeigneter Werke wie Der Zigeunerbaron wurde z. B. an der Staatsoperette Dresden 1952 und am Berliner Metropol-Theater 1953 intensiv gerungen. In bunten Abenden oder ähnlichen Formen gelangten nach 1970 an Theatern und in Sonderkonzerten immer häufiger Auszüge aus Werken zur Aufführung, deren Handlung man für die sozialistische Gesellschaft als unangemessen betrachtete.
Die Vorlieben für Übernahmen aus dem ‚klassischen‘ Repertoire glichen mit geringfügigen Abweichungen denen im deutschen Sprachraum des Westens. Werke von Johann Strauß, Carl Millöcker, Franz Lehár, Oscar Straus und anderen erschienen in DDR-Lizenzausgaben, manchmal in Bearbeitungen. Diese gegenüber den Ausgaben der Vorkriegszeit oft einschneidend gekürzten Fassungen wurden zum Teil gedruckt, z. B. Der Bettelstudent als „Textliche und musikalische Neueinrichtung von Egon Maiwald und Guido Masanetz“. Gegen einige Werke wie Das Land des Lächelns und Der Zarewitsch bestanden Vorbehalte, zumal wenn Stücke mit einer als klischeehaft empfundenen Handlung an Schauplätzen in sozialistischen ‚Bruderstaaten‘ spielten. Diese Vorbehalte verhinderten Aufführungen, was nach außen stellenweise mit einer Kritik an der bürgerlichen Ideologieverhaftung des Werks begründet wurde.1Diese spiegeln sich in den verschiedenen Auflagen von Otto Schneidereits Operettenführern. Schneidereit über die ‚volksnahe Dekadenz‘ in „Der Zarewitsch“: „Sonja bricht schluchzend zusammen. – Mit ihr schluchzte das Publikum aller Erdteile. Lehár fühlte sich auf dem richtigen Wege. Jetzt wusste er, wie sein Publikum gepackt werden wollte. Nicht lachen, weinen wollte es!“ (in: Operettenbuch, Berlin 1964, 494) – und: „Land des Lächelns ist – wenn dieser Begriff hier angewendet werden darf – Vollendung der spätbürgerlichen Operette und zugleich ihr Abschluss. Mit höchster Deutlichkeit demonstriert es den Widerspruch zwischen technischer Meisterung und inhaltlicher Leere.“ (In: Otto Schneidereit, neu herausgegeben und ergänzt von Hans-Peter Müller: Operette A–Z. Ein Streifzug durch die Welt der Operette und des Musicals, Berlin 1986, 168). Dabei kam es in der DDR nur selten zu Bearbeitungen mit neuen oder stark veränderten Handlungen wie in der frühen Sowjetunion2Swetlana Lukanitschewa: Against the stream. Pictures from everyday life of Soviet light entertainment, in: Wolfgang Jansen (Hg.): Popular Music Theatre under Socialism. Operettas and Musical in the Eastern European States 1945 to 1990, Münster und New York 2020, 11–20.. Die vor allem in den 1950er Jahren nachgespielten Werke sowjetischer Provenienz fanden keine Aufnahme in das ständige Repertoire der DDR-Theater.
Beim Musical wurden ‚progressive‘ Werke mit sozialkritischer Tendenz bevorzugt: z. B. Cabaret (DDR-Erstaufführung Staatsoperette Dresden 1976) über das Erstarken der Nationalsozialisten in der späten Weimarer Republik oder West Side Story (DDR-Erstaufführung Opernhaus Leipzig 1984) über tödliche Kämpfe verfeindeter Jugendbanden in New York. Nichtsdestotrotz wurden My Fair Lady (DDR-Erstaufführung Staatsoperette Dresden 1965) und Hello Dolly (DDR-Erstaufführung Metropol-Theater Berlin 1970 mit Gisela May) zu den meistgespielten Stücken. Die hohen Gebühren für Tantiemen und Aufführungsrechte waren trotz des Entgegenkommens von Verlagen und Rechteinhabern ein unausgesprochenes Hindernis bei der Aufführung von Werken aus dem westlichen Ausland, vor allem von Broadway-Musicals. Das Erstaufführungsspektrum umfasste neben Musicals aus dem angloamerikanischen Kulturraum und den Oststaaten auch Werke aus Italien. In den letzten Jahren der DDR konnte der musikalische Oberleiter Roland Seiffarth an der Musikalischen Komödie Leipzig erfolgreich mehrere DDR-Erstaufführungen von Robert Stolz initiieren.3Liste des Autors von Ur- und Erstaufführungen des Heiteren Musiktheaters der DDR. Siehe auch: Musicallexikon. Ur- und Erstaufführungen des populären Musiktheaters im deutschsprachigen Raum seit 1945. Albert-Ludwigs-Universität Freiburg: https://www.musicallexikon.eu (14. 2. 2022).
Eine literarische Legitimation für die meist heiteren Theaterformen mit den Mitteln Text, Musik und Tanz für Musiktheater-Ensembles lieferte das Erscheinen der deutschen Übersetzung von Margit Gáspárs Stiefkind der Musen.4Margit Gáspár: Stiefkind der Musen. Operette von der Antike bis Offenbach, deutsch von Hans Skirecki, betreut von Klaus Eidam, Berlin 1969. Hans-Gerald Otto plädierte für das alte und neue Schaffen: „Gerade dieses heitere Musiktheater aber besitzt enorme Möglichkeiten, auf heitere theatralische Weise unter vielfältigem Einsatz von Musik in das Wesen unserer sozialistischen Gegenwart einzudringen, wesenhafte Züge dieser Wirklichkeit vergnüglich darzustellen.“5Hans-Gerald Otto in: Material zum Theater Nr. 7, Sektion Musiktheater, Heft 1/1972, 4. Paradigmatisch für die gesamte Theoriebildung des Heiteren Musiktheaters wurde die Niederschrift von Referaten und Gesprächsbeiträgen über das Musical in einem Heft der Reihe Material zum Theater 1974. Dort resümierte man auch, wie stark Werke des Heiteren Musiktheaters durch Kurt Weills Dreigroschenoper beeinflusst wurden.
Das Beharren auf Verständlichkeit und Interesse für das Publikum setzte Innovationen frei. Diese betrafen den seit 1965 stärker gefragten Darstellertyp der singenden Schauspieler und die Veränderung der Orchesterbesetzung durch Instrumente der Unterhaltungsmusik oder durch eine Band.6Material zum Theater Nr. 40, Sektion Musiktheater, Heft 9/1974. Nach dem Mauerfall bestätigten zahlreiche Theaterschaffende der ehemaligen DDR, dass die Beobachtung zeitgenössischer Tendenzen des Heiteren Musiktheaters aus dem Westfernsehen die direkte Auseinandersetzung für neue Operetten und Musicals sowie deren Bühnenästhetik beflügelt hatten.

Aufführungsorte und Verbreitung in den Medien

Die sich früher in freien Theaterformen entwickelnden Genres Operette, Singspiel usw. wurden an deutschen Theatern bereits während des Nationalsozialismus institutionalisiert. Diese Vergesellschaftung wurde in der DDR, wo es keine freien und privaten Theaterbetriebe gab, verdichtet. Bis zum Aufkommen des Musicals nach 1960 war das Heitere Musiktheater vor allem Aufgabe der Musiktheater-Ensembles mit einigen Spezialbesetzungen aus dem Schauspiel.

Schon in den Anfangsjahren der DDR ging es darum, die bis 1945 von freien und subventionierten Betriebsformen gespielte Operette in das zukünftige Theaterspartensystem der DDR zu integrieren und diese der Doktrin des Sozialistischen Realismus anzupassen. Es gab drei Repertoiretheater für Operette und Musical: das Metropol-Theater Berlin, die Staatsoperette Dresden (zuerst Operettentheater Dresden) und die zu den Städtischen Bühnen Leipzig gehörende Musikalische Komödie. Im Lauf der Jahrzehnte beschäftigten sich einige Bezirkstheater unter bestimmten Leitungskonstellationen besonders intensiv mit Operette und Musical, z. B. Rostock, Halle, Erfurt und das Elbe-Elster-Theater Wittenberg. Wie im Westen gehörte Die Fledermaus in das Repertoire des großen Opernhauses Deutsche Staatsoper Berlin. Die DDR-Erstaufführung von West Side Story fand an der Oper Leipzig statt. Eine Durchlässigkeit zu Mischformen mit der Revue z. B. mit dem ‚Palastical‘ Die Frau des Jahres von Gerd Natschinski und Gerhard Kneifel (Friedrichstadtpalast Berlin 1965) und eine Bühnenfassung des Rockalbums Paule Panke der Rockband Pankow (Schwedt 1987) waren eher selten, aber nicht unüblich. Unter Walter Felsenstein wurden dessen Inszenierungen von Anatevka (Der Fiedler auf dem Dach) und Ritter Blaubart Glanzpunkte des Repertoires der Komischen Oper Berlin.

Die Offenheit des Genres zeigte sich auch in der Verteilung der Veröffentlichungen von Operetten- und Musical-Aufnahmen – meistens Querschnitte, Potpourris und Ausschnitte – bei den Plattenlabels Eterna (Schwerpunkt Klassische Musik), Amiga (Unterhaltungsmusik) und Nova (Neue Musik). Auch Offenbachs Die schöne Helena in der deutschen Fassung für Schauspieler von Peter Hacks mit dem musikalischen Arrangement von Herbert Kawan und Reiner Bredemeyer wurde 1966 als Schallplattenaufnahme produziert.

Neben zahlreichen Rundfunkeinspielungen entstanden sogenannte ‚Fernsehaufführungen‘, z. B. der sowjetischen Operette Der Kuss der Juanita von Juri Miljutin (aus Dresden, Erstausstrahlung 1959). Das Gegenwartsschaffen des Heiteren Musiktheaters kam immer wieder ins Fernsehen. Beispielsweise erklangen in der Unterhaltungssendung Ausgerechnet Operette. Krach im Stadttheater (DFF 1964) ausschließlich Melodien aus neuen, in der DDR entstandenen Stücken, um breites Publikum für neues Schaffen zu gewinnen. Eine vollständige Fernsehfassung entstand z. B. von Natschinskis Messeschlager Gisela (Erstausstrahlung 1966).

Das neue Schaffen im Heiteren Musiktheater der DDR

Die Entwicklung eines eigenständigen Repertoires begann unmittelbar nach Gründung der DDR: Arthur Maria Rabenalt forderte während seiner Intendanz am Metropol-Theater 1947 bis 1949 eine Reform der Operette mit Kritik an deren Entwicklung bis zum Zweiten Weltkrieg.7Arthur Maria Rabenalt: Operette als Aufgabe. Aufsätze zur Operettenkrise, Mainz 1948. In den meisten theoretischen Schriften – etwa in der Operetten-Reihe des Magazins Theater der Zeit – wiederholen sich die Postulate des Sozialistischen Realismus: „Parteilichkeit“ für die Ziele des Sozialismus, „Völkerfreundschaft“ mit den „kommunistischen Verbündeten“, (indirekte) „Propaganda“ mit „Unterhaltung“ für die Werktätigen. Inhaltliche Mittel sollten „Satire“, „Sozialkritik“ und die „Lächerlichkeit“ der überwundenen Lebensformen und Klassengegensätze sein.8In fast absehbarer Reihenfolge wiederholen sich diese Postulate in den Schriften von Kurt Hager, Hans Koch und in der Schriftenreihe „Material zum Theater“ des Verbandes der Theaterschaffenden der DDR. Das Heitere Musiktheater gehörte zur Sektion Musiktheater.

Im Rückblick wurden die 1950er Jahre als Zeit der Suche nach einer zeitgemäßen Operette für die sozialistische Gesellschaft bezeichnet. Mit Gräfin Cosel von Hans-Hendrik Wehding (Karl-Marx-Stadt 1956) erlebten die Mätressensujets Leo Falls und Carl Millöckers, mit Bolero von Eberhard Schmidt (Metropol-Theater Berlin) das fast opernhafte Singspiel mit umfangreichen Volksszenen eine Renaissance. Herbert Kawan erprobte verschiedene Stückgenres: mit Treffpunkt Herz (Metropol-Theater Berlin 1951) eine Volkskomödie, mit Sensation in London (Rostock 1957) eine historische Satire und mit Die Abenteuer der Mona Lisa (Rostock 1960) eine parabelhafte Gegenwartsposse nach verschiedenen Vorbildern. Mit Gerd Natschinskis Messeschager Gisela (Metropol-Theater Berlin 1960), Guido Masanetz und Otto Schneidereits In Frisco ist der Teufel los (Metropol-Theater Berlin 1962) und Gerd Natschinskis Mein Freund Bunbury (Metropol-Theater Berlin 1964) entstanden die auch nach der Wiedervereinigung bekanntesten Werke des Heiteren Musiktheaters im Übergang zwischen operettenhaften und musicalhaften Gestaltungsmitteln. Das für den Bitterfelder Weg repräsentative Werk des Heiteren Musiktheaters wurde Irene und die Kapitäne, dessen von Wolfgang und Ilse Böttcher verfasstes Textbuch infolge von Begegnungen durch einen Patenschaftsvertrag der Staatsoperette Dresden mit der Brigade „Bertolt Brecht“ des VEB Güterkraftverkehr in Dresden entstand. In Theater der Zeit gab es 1963 bis 1965 eine profunde Auseinandersetzung mit Theorie und Praxis, Dramaturgie und Musik, politischer Dimension und Wirkung des Musicals.

Messeschlager Gisela blieb als Meilenstein der Entwicklung durch die Einspielung bei Amiga und Stückbeschreibungen in allen Auflagen von Schneidereits Operettenführer in Erinnerung. Von den Spielplänen war das Stück jedoch bereits Mitte der 1960er Jahre verschwunden. Wenn auch das Ost-Kollektiv im Modewettbewerb auf der Leipziger Messe durch Solidarität und Realitätsbewusstsein gegenüber den arroganten wie intriganten westlichen Gegnern siegt, wirkt die versöhnliche Annäherung zwischen Ost- und Westdeutschland bzw. -europa wie noch in Jedes Jahr im Mai und Treffpunkt Herz seit dem Mauerbau 1961 als gewagt.

Ausdrückliche Verbote gab es keine, wahrscheinlicher war bei Spielplanentscheidungen der vorauseilende Gehorsam der Theaterleitungen und Behörden. Der Kalte Krieg zeigt sich im Heiteren Musiktheater der DDR anhand der Stoffmodelle, die nach 1960 nicht mehr oder weitaus seltener auf die Bühne gelangen, wie die Spiegelung westlicher und östlicher Gesellschaftsverhältnisse. Bis zu Gerd Natschinskis Fernseh-Musical Das Dekameronical (zweiteilige Bühnenfassung in Halle 1979 bzw. Wittenberg 1982) wurde nach 1961 die Spiegelung vergangener Zeiten an einer pulsierend-freien DDR-Gegenwart zu einem bewährten dramaturgischen Muster.

Wichtige Werke für die Jahre nach 1970 wurden Conny Odds Karambolage (Gera 1969), Gerhard Kneifels Bretter, die die Welt bedeuten (Metropol-Theater Berlin 1970) sowie Claus Ulrich Wieners und Siegfried Schäfers Verlieb dich nicht in eine Heilige (Staatsoperette Dresden 1969). Bei einem höfischen Fest, für das die Autoren Mark Twains Romansujet Ein Yankee am Artushof in Wagners Tannhäuser- und Moritz von Schwinds Wartburg-Welten verlagerten, rocken alle Wartburg-Gäste entfesselt zum Biterolf-Beat. Ein modischer Rhythmus aus dem Westen wurde in einem Werk des Heiteren Musiktheaters zum auch separat auf LP eingespielten Hit. Schäfer setzte diesen mit klarer Positionierung zur kritisch legitimierten Darstellung einer fragwürdigen Feudalgesellschaft ein. Mindestens acht Bühnen konnten dieses Paradebeispiel für eine subtil und ambivalent funktionalisierte Dialektik im Heiteren Musiktheater herausbringen.

Im weiteren Verlauf der Entwicklung des DDR-Musicals gibt es wenige neue musterhafte Narrative. Zu diesen gehörte die Auseinandersetzung der Geschlechter um Gleichstellung und gegenseitigen Respekt. In Manfred Grafes, István Körmendis und Peter Bejachs Meine Geschichte mit Aniko (Erfurt 1983) lernen toxische Brigade-Arbeiter von der stellenweise in Männerklamotten Verwirrung stiftenden Ungarin Anikó Respekt und Toleranz. In Rockballade (Schauspielhaus Leipzig 1983) von Thomas Bürkholz und Andreas Knaup kommen wieder die Gefahren eines Lebens im kapitalistischen Ausland zum Tragen: Brannan und Hal liefern sich im Sprung zur ganz großen Karriere den westlichen Kommerz-Mechanismen aus. Showbiz-Opfer und Leichen flankieren diesen Weg zum abschreckenden Beispiel für DDR-Jugendliche. Thomas Bürkholz, hinter dessen West-Panorama ein bisschen Sehnsucht nach den im eigenen Erlebnishorizont nicht zu fürchtenden Gefährdungen anzumerken war, kam als Bandmusiker und -leader der Klaus Renft Combo zum Musical. Für die junge Generation des Heiteren Musiktheaters wäre nach 1990 die Zeit für eine erweiterte Definition des Gattungsbegriffs angebrochen, die letzten Neuschöpfungen des Heiteren Musiktheaters folgten älteren Mustern, so Gerhard Kneifel mit Aphrodite und der sexische Krieg (Leipzig 1986), Gerd Natschinski mit dem historischen Musical Caballero (Leipzig 1988) und Jochen Allihn mit dem nostalgischen Singspiel Damals in Prag (Meiningen/Zeitz/Erfurt 1985). Die Hochphase des Heiteren Musiktheaters war etwa 1975 überschritten.

In den verschiedenen Dekaden lassen sich unterschiedliche Schwerpunkte von Stoffen feststellen. Die Operetten Jedes Jahr im Mai und Treffpunkt Herz feiern kurz nach 1950 die Vorzüge eines sozialistischen Gemeinschaftsgeists in Abgrenzung zu engstirnigen Verhaltensweisen. Schon in dieser Zeit entstehen Stücke mit Sujets aus dem sozialistischen Alltag wie Eberhard Schmidts nur wenige Vorstellungen erlebende Operette Die Schweinehochzeit (Schwerin 1956). Ein weiteres Muster war die Darstellung korrupter Zustände im Westen der Gegenwart wie in Conny Odds Alarm in Pont l'Évêque (Erfurt 1958) und deren Überwindung durch die ‚sozialistischen‘ Tugenden Solidarität und Gemeinschaftssinn wie in In Frisco ist der Teufel los von Guido Masanetz (Metropol-Theater Berlin 1962) begründet. Nach dem Mauerbau gab es bis zu Jens-Uwe Günthers Ich bin nun mal kein Yogi (Weimar 1978) wahrscheinlich kein Stück mit der Gegenüberstellung von Figuren aus der DDR und Westdeutschland. Die kurze Aufführungsgeschichte von Guido Masanetz’ Mein schöner Benjamino (Metropol-Theater Berlin 1963) ist höchstwahrscheinlich auch durch die Handlung mit einer Kontrastierung der DDR zum kapitalistischen Ausland begründet. In Musicals wie Rolf Zimmermanns Connie und der Löwe (Halle 1968) geht es um Reibungen von Menschen mit unterschiedlichen Temperamenten und Berufen aus verschiedenen Sphären der sozialistischen Gesellschaft, die sich in Konflikten bewähren und dadurch näherkommen.

Ab Mitte der 1970er Jahre erweitert sich das Spektrum von Stoffen durch Jugendstücke wie Der Soldat und das Feuerzeug (Schauspielhaus Leipzig 1979) von Thomas Bürkholz und Rockmusicals für jugendliches Publikum. Von den vielen in Theatern der DDR herausgekommenen musikalischen Lustspielen für kleine Besetzungen erlebte Frohes Wochenend (Halle 1976) bemerkenswert viele Inszenierungen.

Komponisten, die mehrere Werke für das Heitere Musiktheater schufen, konnten künstlerische Innovationen oft ohne Widerstände entwickeln. Beispielsweise komponierte Guido Masanetz ein Lustspiel wie Eine unmögliche Frau (Rostock 1954) und das anspruchsvolle Musical Vasantasena (Metropol-Theater Berlin 1978) nach einem altindischen Schauspiel. Die Komponisten des Heiteren Musiktheaters waren oft keine genuinen Musikdramatiker, sondern Quereinsteiger wie Eberhard Schmidt, der vom Massenlied und der Kabarett-Musik zur Operette kam, oder wie Gerhard Kneifel und Gerd Natschinski, die vom Tanz kamen.

Schlussbetrachtung

Nur wenige der über 200 in der DDR entstandenen Werke des Heiteren Musiktheaters wurden als eindeutige Erfolge gefeiert. Oft war die Reaktion in Fachkreisen ambivalent oder eindeutig negativ. Es ging auch in dieser Theatersparte darum, den gesellschaftlichen Fortschritt und Erfolg mit Werken aus eigener Produktion zu spiegeln und zu bestätigen. Wie im westlichen Ausland erlebten viele Stücke des Heiteren Musiktheaters trotz intensiver Betreuung durch eine Entwicklungsdramaturgie und Verlagslektorate nur eine einzige Inszenierung und wenige Vorstellungen.

In Frisco ist der Teufel los und Mein Freund Bunbury (frei nach Oscar Wildes Komödie Bunbury) waren die beiden meistgespielten Werke des Heiteren Musiktheaters eigener Provenienz in 40 Jahren DDR. Nach 1980 verringerte sich die landeseigene Produktion an Neuschöpfungen. ‚Spätbürgerliche‘ Operetten wie Die Blume von Hawaii (DDR-Erstaufführung Magdeburg 1986) wurden rehabilitiert, mit Evita (DDR-Erstaufführung Staatsoperette Dresden 1987) und dem ungarischen Rock-Musical Der König-David-Bericht (DDR-Erstaufführung Halberstadt 1989) kündigte sich ein neuer, eher offener Kurs an.

Das Projekt Heiteres Musiktheater scheiterte durch den Verlust seiner Spontaneität in den künstlerischen und inhaltlichen Planungsstrukturen aller beteiligten Organe, obwohl direkte behördliche Einflussnahme selten war. Die Domestizierung der zwischen Subversion und Mondänität flirrenden Gattung Operette durch stabile Betriebsformen und den progressiv-parteilichen Anspruch im Sinne der Kulturpolitik war ein sozialistischer Sonderfall. Diesen Postulaten wurde nach 1960 auch das Musical unterworfen. Die Entwicklung von Operette, Musical und Musikalischem Lustspiel fand Ende der 1970er Jahre in die Sammelbände zur Musikgeschichte der Deutschen Demokratischen Republik Aufnahme.9Heinz Alfred Brockhaus und Konrad Niemann (Leitung des Autorenkollektivs): Musikgeschichte der Deutschen Demokratischen Republik 1945–1976, Berlin 1979 (= Sammelbände zur Musikgeschichte der Deutschen Demokratischen Republik 5), 129–135, 258–263 und 376 f. Die Definition und Würdigung darin stellt die bereits in anderen theoretischen, dramaturgischen und theaterpraktischen favorisierten Stücke des Heiteren Musiktheaters etwas genauer vor (Treffpunkt Herz von Herbert Kawan, Messeschlager Gisela und Mein Freund Bunbury von Gerd Natschinski sowie Karambolage von Conny Odd). Auch in diesem Band findet sich der Hinweis auf die Besonderheit der Werkgruppe des Heiteren Musiktheaters, für die im kulturellen Kontext der DDR keine Vergleichs- und Kategorisierungsmöglichkeiten bestanden:

„Es fehlen gültige Maßstäbe, um das Geschaffene zu beurteilen; die soziale Funktion dieser voneinander ebenso unterschiedenen als miteinander verbundenen Genres ist wenig erforscht; zu beschreiben wäre besonders das komponierte Werk in seinem Zusammenhang mit dem Operetten- und Musicalbetrieb.“10Heinz Alfred Brockhaus und Konrad Niemann (Leitung des Autorenkollektivs): Musikgeschichte der Deutschen Demokratischen Republik 1945–1976, Berlin 1979 (= Sammelbände zur Musikgeschichte der Deutschen Demokratischen Republik 5), 129.

Viele Kulturschaffende der DDR berichteten in der Nachwendezeit, dass zwischen Bühne und Auditorium Verständnisschwingungen bestanden, die nur aus dem situativen Hier und Jetzt erklärbar waren und in einer rückwirkenden Analyse kaum zu rekonstruieren sind. Die verminderte Anzahl von Uraufführungen nach 1980 wie eine neuerliche Auseinandersetzung mit Operette in Theater der Zeit zeigen, dass sich am Ende der DDR eine neue Phase der Rezeption alter Operetten ankündigte. Mein Freund Bunbury und In Frisco ist der Teufel los erlebten nach 1980 an vielen Theatern der DDR ihre zweite Inszenierung. Trotz seiner Erfolge mit Terzett und Ein Fall für Sherlock Holmes konnte Natschinski als berühmter, viel gespielter Komponist und Intendant des Metropol-Theaters den Sensationserfolg von Mein Freund Bunbury nicht wiederholen.

Das Heitere Musiktheater der DDR wurde während und nach dem Ende der DDR nie zu einem Exportschlager wie die aus dem Sozialistischen Realismus oder in Reibung an diesem entwickelten Inszenierungsformen für Schauspiel und Oper. Vereinzelt spielte man Stücke in den Staaten des Warschauer Paktes und in der BRD nach. Im Westen konnten sie allerdings nicht mit dem Bekanntheitsgrad z. B. von Paul Burkhards Feuerwerk oder Peter Kreuders Bel Ami konkurrieren. Im Rückblick ist bemerkenswert, wie man in der DDR eine Hinwendung zu einer sozialistischen Ethik auch mit unterhaltsamen Genres des Musiktheaters versuchte. Mit wenigen Ausnahmen und trotz Verbreitung durch die Medien entstanden nur ganz wenige Hits und Evergreens wie die Titelmelodie aus Mein Freund Bunbury, die zum großen Erfolg und beachtlichen Vorstellungszahlen dieses Musicals bis fast 30 Jahre nach der Wiedervereinigung in den neuen Bundesländern beitrug.

Anmerkungen

  1. Diese spiegeln sich in den verschiedenen Auflagen von Otto Schneidereits Operettenführern. Schneidereit über die ‚volksnahe Dekadenz‘ in „Der Zarewitsch“: „Sonja bricht schluchzend zusammen. – Mit ihr schluchzte das Publikum aller Erdteile. Lehár fühlte sich auf dem richtigen Wege. Jetzt wusste er, wie sein Publikum gepackt werden wollte. Nicht lachen, weinen wollte es!“ (in: Operettenbuch, Berlin 1964, 494) – und: „Land des Lächelns ist – wenn dieser Begriff hier angewendet werden darf – Vollendung der spätbürgerlichen Operette und zugleich ihr Abschluss. Mit höchster Deutlichkeit demonstriert es den Widerspruch zwischen technischer Meisterung und inhaltlicher Leere.“ (In: Otto Schneidereit, neu herausgegeben und ergänzt von Hans-Peter Müller: Operette A–Z. Ein Streifzug durch die Welt der Operette und des Musicals, Berlin 1986, 168).
  2. Swetlana Lukanitschewa: Against the stream. Pictures from everyday life of Soviet light entertainment, in: Wolfgang Jansen (Hg.): Popular Music Theatre under Socialism. Operettas and Musical in the Eastern European States 1945 to 1990, Münster und New York 2020, 11–20.
  3. Liste des Autors von Ur- und Erstaufführungen des Heiteren Musiktheaters der DDR. Siehe auch: Musicallexikon. Ur- und Erstaufführungen des populären Musiktheaters im deutschsprachigen Raum seit 1945. Albert-Ludwigs-Universität Freiburg: https://www.musicallexikon.eu (14. 2. 2022).
  4. Margit Gáspár: Stiefkind der Musen. Operette von der Antike bis Offenbach, deutsch von Hans Skirecki, betreut von Klaus Eidam, Berlin 1969.
  5. Hans-Gerald Otto in: Material zum Theater Nr. 7, Sektion Musiktheater, Heft 1/1972, 4.
  6. Material zum Theater Nr. 40, Sektion Musiktheater, Heft 9/1974.
  7. Arthur Maria Rabenalt: Operette als Aufgabe. Aufsätze zur Operettenkrise, Mainz 1948.
  8. In fast absehbarer Reihenfolge wiederholen sich diese Postulate in den Schriften von Kurt Hager, Hans Koch und in der Schriftenreihe „Material zum Theater“ des Verbandes der Theaterschaffenden der DDR. Das Heitere Musiktheater gehörte zur Sektion Musiktheater.
  9. Heinz Alfred Brockhaus und Konrad Niemann (Leitung des Autorenkollektivs): Musikgeschichte der Deutschen Demokratischen Republik 1945–1976, Berlin 1979 (= Sammelbände zur Musikgeschichte der Deutschen Demokratischen Republik 5), 129–135, 258–263 und 376 f.
  10. Heinz Alfred Brockhaus und Konrad Niemann (Leitung des Autorenkollektivs): Musikgeschichte der Deutschen Demokratischen Republik 1945–1976, Berlin 1979 (= Sammelbände zur Musikgeschichte der Deutschen Demokratischen Republik 5), 129.

Autor:innen

Zitierempfehlung

Roland H. Dippel, Artikel „Heiteres Musiktheater: Operette, Musical, Musikalisches Lustspiel“, in: Musikgeschichte Online, hg. von Lars Klingberg, Nina Noeske und Matthias Tischer, 2018ff. Stand vom 10.07.2023, online verfügbar unter https://mugo.hfmt-hamburg.de/de/topics/heiteres-musiktheater-operette-musical-musikalisches-lustspiel, zuletzt abgerufen am 25.04.2024.