Folk

[Kurzfassung; vollständige Fassung in Vorbereitung]

 

Zusammenfassung

In Deutschland wird unter Folk meist eine aktuelle Variante überlieferter Volksmusik verstanden, nicht zu verwechseln mit den Darbietungen in volkstümelnden Fernseh-Unterhaltungssendungen. Ursprünglich bezeichnete man als Folk oder Folk Music im englischen Sprachraum die Aneignung und Weiterentwicklung traditioneller Musikformen des einfachen Volkes. Dafür standen in den 1950er und 1960er Jahren Künstler wie Pete Seeger oder Woody Guthrie. Als das Folkrevival dann auch mehrere Länder Europas erfasste, wurde der Begriff dort übernommen. In der Bundesrepublik sei er nicht zuletzt deshalb verwendet worden, schreibt Florian Steinbiß in seinem Buch über die westdeutsche Folkszene, „weil er die missbrauchte und vielbeanspruchte Bezeichnung ‚Volkslied‘ umgeht“. Anders in der DDR. Hier wurde im offiziellen Sprachgebrauch der Begriff Musikfolklore nicht zuletzt deshalb verwendet, weil er die im Westen übliche Bezeichnung Folk umgeht.1F. Steinbiß: Deutsch-Folk: Auf der Suche nach der verlorenen Tradition, Frankfurt a. M. 1984, 10. Das hielt aber die DDR-Szene nicht davon ab, ihn als Eigenbezeichnung zu gebrauchen. 

Urwüchsige Gesänge – irisch inspiriert

Die Folkszene in der DDR entstand um die Mitte der 1970er Jahre. Auslöser war, wie bei der bundesdeutschen Szene auch, das Folkrevival in Irland. In den Achtzigern spielten zwischen Erzgebirge und Ostseeküste mehr als 100 Folkbands. Folkländer (Leipzig), Wacholder (Cottbus), Liedehrlich (Gera), Horch (Halle) und das Duo Piatkowski & Rieck (Rostock) waren die bekanntesten. Gesungen wurden von den meist studentischen Bands alte Volkslieder, nicht so schön wie Chöre oder Kunstliedsänger, nicht so brav wie die Volkskunstensembles, dafür urwüchsig und aus vollem Herzen. Ihr Publikum fand die Szene vor allem in den vielen Studenten- und Jugendklubs des Landes. Im Mittelpunkt stand nicht virtuoses Musizieren, sondern das Gemeinschaftserlebnis.

Ungewohntes Instrumentarium, rebellische Volkslieder

Exotisch wirkende Musikinstrumente wurden nicht selten abenteuerlich kombiniert –Konzertina, irische Tin whistle, Hackbrett, Drehleier und Dudelsack mit Gitarre, Mandoline, Waldzither, Banjo, Geige oder Akkordeon. Beliebte Rhythmusinstrumente waren besonders in der Anfangszeit Brummtopf und (Aluminium-)Löffel. Zunächst dominierte internationale Folklore, Irish Folk vor allem, doch bald entdeckte man das rebellische Potential im deutschen Volksliederbe jenseits von Heidenröslein und Am Brunnen vor dem Tore. Dass sich mithilfe von überlieferten Spott- und Klageliedern realsozialistische Ärgernisse in der DDR kritisieren ließen, verlieh der Sache zusätzlichen Reiz. Das passende Repertoire fand sich in Wolfgang Steinitz’ Sammlung Deutsche Volkslieder demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten. Das zweibändige Werk, erschienen 1956 und 1962 in Ost-Berlin, avancierte zur „Bibel“ des Folkrevivals in beiden deutschen Staaten.

Volkstanz zum Mitmachen

In den 1980er Jahren holten DDR-Folkbands nach dem Vorbild der ungarischen Tanzhaus-Bewegung den Volkstanz von der Bühne zurück auf den Tanzboden. Binnen kurzer Zeit avancierte der Mitmach-Volkstanz zur Hauptattraktion der Szene. Ab 1986 richtete der Folkklub Leipzig ein jährliches internationales Tanzhausfest aus. Bis zu 1.000 Tänzer bevölkerten dann das Parkett der Leipziger Kongresshalle. Die Kontakte der Szene zum DDR-Tanzfest in Rudolstadt erleichterten nach 1990 dessen Neuprofilierung vom Bühnentanz-Festival zum renommierten internationalen Folk- und Weltmusikfestival.

Dudelsäcke im Eigenbau

In den 1980er Jahren war eine deutliche Differenzierung der Szene zu beobachten. Parallel zum Volkstanz-Boom gab es die Hinwendung zu Lied-Kabarett oder Kammermusik, Lyrik-Vertonungen, Klezmer oder Folkrock, Bordun- oder Mittelaltermusik. Dudelsäcke und Drehleiern wurden, weil es sie nicht im Laden zu kaufen gab, von handwerklich begabten Musikern selbst gebaut. Vom vormundschaftlichen Staat wurde die Folkszene einerseits großzügig gefördert, andererseits kleinlich gegängelt und misstrauisch überwacht. 

Literaturempfehlungen

Elvira Heising, Sigrid Römer: Der Tanz im „künstlerischen Volksschaffen“ der DDR. Amateurbühnentanz – Volkstanz zum Mitmachen, Remscheid 1994 (= Informationen zum Tanz, Heft 21)

Wolfgang Leyn: Volkes Lied und Vater Staat. Die DDR-Folkszene 1976–1990, Berlin 2016

Horst Traut: Wir bauen all an einem Turm. Volkslieder von gestern und heute, Köln 1995

Anmerkungen

  1. F. Steinbiß: Deutsch-Folk: Auf der Suche nach der verlorenen Tradition, Frankfurt a. M. 1984, 10.

Autor:innen

Zitierempfehlung

Wolfgang Leyn, Artikel „Folk“, in: Musikgeschichte Online, hg. von Lars Klingberg, Nina Noeske und Matthias Tischer, 2018ff. Stand vom 22.11.2022, online verfügbar unter https://mugo.hfmt-hamburg.de/de/topics/folk, zuletzt abgerufen am 19.04.2024.