Elektronische Musik

Will man sich bezogen auf den Kontext der DDR mit der Rolle und Entwicklung elektronischer Musik beschäftigen, so erscheint es als unumgänglich – sowohl in Hinblick auf die zeitliche Ausdehnung als auch auf den dezidiert kulturhistorischen Ansatz, der allein schon aus dem Gegenstand resultiert –, einen möglichst weiten und aus ästhetischer Perspektive non-pejorativen (also vor allem auch schulenfreien) Begriff von „elektronischer Musik“ zugrunde zu legen, der weitgehend dem entspricht, was in vielen Definitionen schlicht als „elektroakustische Musik“ bezeichnet wird. In diesem Sinne fassen wir unter dem Begriff elektronische Musik jegliche Klangkunst, deren Entstehung und Verbreitung ohne den Gebrauch von Elektrizität nicht möglich wäre, wobei wesentlich ist, dass der Gebrauch nicht allein der Verstärkung auch ansonsten vorhandener Klanggebilde dient. Elektronische Musik erscheint hier – auch in Abgrenzung zu sehr viel stärker ästhetisch exklusiven Definitionen (wie beispielsweise als Bezeichnung für die Musik der sogenannten Kölner Schule als Gegensatz zur Pariser Schule akusmatischer Musik) als primär handwerklich technische Bestimmung und kann sich auf sämtliche musikalische Gattungen beziehen, folgt jedoch (aus Gründen der Relevanz für die betroffene Epoche) der Unterscheidung E- und U-Musik und bezieht sich hier entsprechend quasi ausschließlich auf die sogenannte Ernste Musik. Insofern werden die Begriffe elektronische und elektroakustische Musik im Folgenden kontextbedingt weitgehend synonym gebraucht.

Elektroakustische Musik aus der DDR ist bis heute im allgemeinen Bewusstsein weitgehend unbekannt und erfuhr auch durch die musikhistoriographische Aufarbeitung vergleichsweise geringe Beachtung. Vielmehr operieren sowohl die DDR-Forschung als auch die Musikgeschichtsschreibung bisher mit relativ konstanten und festen Stereotypen, die sich vielfach aus offensichtlichen ästhetischen Paradigmen und bekannten Verdikten ableiten und nicht zuletzt Ergebnis einer nicht problemfreien Strukturentwicklung nach der deutschen Wiedervereinigung sind – bezogen vor allem auf institutionelle Zusammenhänge.

Dennoch gab es auch im Osten Deutschlands analog zu gleichzeitigen Entwicklungen in anderen europäischen Ländern (namentlich den renommierten Studios in Paris und Köln, aber auch in Kontakt zu anderen Ostblock-Einrichtungen, insbesondere Warschau und Bratislava) immer Bemühungen, mithilfe des elektrischen Stromes Klangkunst zu schaffen – eine Entwicklung, die durchaus in Wechselwirkung mit namhaften Strömungen zu sehen ist, die dennoch nicht frei von kontextbedingten und somit DDR-spezifischen Zwängen verlaufen konnte. Generell kann ein vollständiges Bild der elektronischen Musikszene der DDR nur entstehen, indem man sowohl die offiziellen bzw. offiziell geduldeten als auch die allenfalls am Rande der Legalität stattfindenden Bemühungen in den Blick nimmt. Historisch gesehen lässt sich bezogen auf die Entwicklung und Etablierung einer Elektronikszene ein Drei-Phasen-Modell beschreiben.

Elektronische Musik spielt bei der Beschreibung der Musikkultur der DDR kaum eine Rolle bzw. trägt zu deren Charakterisierung oft eher durch zugeschriebene Abwesenheit bei. Dennoch steht auch jene elektroakustische Musik, die sich in diesem Land mit seinen unglaublichen Reglementierungen und ebenso verblüffenden Freiräumen herausbilden konnte, in einem entscheidenden Verhältnis zu diesem Umfeld, kann sich in ihrer Spezifik vielfach nach völlig eigenen Gesetzmäßigkeiten entfalten, nicht selten aber auch parallel zu den Abläufen im Westen, an denen sich die Akteure durchaus intensiv orientierten.

So wie im Westen gibt es auch in der DDR nicht den einen und einzigen elektronischen Sound; obschon es mit Sicherheit auch auf dem Gebiete des Elektroakustischen eine größere Anzahl von Werken gibt, über die man verhältnismäßig lapidar sagen könnte: ‚So klingt DDR-Musik.‘ Das mag sowohl damit zu tun haben, dass die DDR-Komponisten vielfach ein anderes Selbstverständnis haben. Egal, ob im Sinne von Opposition oder aber von Staatstreue – wirkt DDR-Musik auf den Hörer vielfach ‚irgendwie engagierter‘ als zeitgleich entstandene Werke von – beispielsweise – westdeutschen Komponisten. Nicht allein im Formalismusverdikt ist die Ursache dafür zu suchen, dass selbst unter jenen Komponisten, die sich erklärtermaßen dem staatlicherseits Vorgegebenen1Vgl. auch Michael Berg, Knut Holtsträter und Albrecht von Massow (Hg.): Die unerträgliche Leichtigkeit der Kunst. Ästhetisches und politisches Handeln in der DDR, Wien u.a. 2007. entziehen wollten, absolut kein Interesse an irgendeiner L’Art-pour-l’Art-Attitüde bestanden hätte.2Vgl. hierzu auch Nina Noeske: Musikalische Dekonstruktion. Neue Instrumentalmusik in der DDR, Köln u.a. 2007.

Elektronische Musik bahnte sich an den unterschiedlichsten – nicht immer per se musikalischen – Orten ihren Weg. Nicht nur die Kirche – vielfach auch das Theater mit Optionen für Komponisten, die weit über das anderswo für Bühnenmusik Gebräuchliche hinausgehen – bot in regional unterschiedlichem Maße einen geschützten Raum. Offiziell durfte die Staatsmacht nicht in die Belange der Kirche eingreifen, auch wenn sie gewiss ihre Kontrollmöglichkeiten entwickelte und nicht selten zu Repressalien gegenüber Mitgliedern der Glaubensgemeinschaften griff.

Obwohl oder gerade weil die DDR weitgehend zentralistisch organisiert war, spielt die Bezirksstruktur des Landes, die sich auf nahezu allen Ebenen niederschlug, eine absolut entscheidende Rolle für die (gerade in den 1970er und 1980er Jahren extrem punktuelle) Entwicklung einer Szene elektronischer Musik. Gerade Kulturinstitutionen und somit in entscheidenden Teilen Kulturpolitik (auch wenn die grundlegende Macht des Kulturministeriums nicht zu unterschätzen war) waren vielfach Sache der Entscheidungsgremien auf Bezirksebene, hier allerdings vielfach weniger der gewählten Räte als der Bezirksleitungen der SED. Als Folge dessen standen und fielen viele kulturelle Initiativen und – besonders auch Möglichkeiten für die musikalische Avantgarde – mit der Offenheit und Kompetenz einzelner Entscheidungsträger in den Bezirksgremien, wurden über Toleranz, manchmal auch Ignoranz oder persönliche Kontakte hier möglich gemacht und aus ähnlichen – oft ebenso subjektiven – Impulsen heraus dort unterbunden. Insofern mag es nicht immer als besonders sinnvoll erscheinen, von elektroakustischer Musik in der DDR als von einer homogenen Gesamtheit zu sprechen.3Vgl. zum Problem Bezirksstruktur und Musikbetrieb auch Gilbert Stöck: Neue Musik in den Bezirken Halle und Magdeburg zur Zeit der DDR. Kompositionen, Politik, Institutionen, Leipzig 2008.

Andererseits bleiben die administrativen und organisatorischen Grundmechanismen trotzdem vergleichbar, die technischen Voraussetzungen ähnlich und die Rolle der Hauptstadt und die zentralstaatliche Überformung in gewissem Grade maßgeblich. Und letztlich ist ja gerade für die frühen und mittleren Jahre elektroakustischen Komponierens in der DDR – wie eigentlich überall in der Welt – die Produktion und Rezeption an Institutionen (Studios, Rundfunk etc.) gebunden. Heimstudios bilden sich aufgrund der technisch-ökonomischen Gegebenheiten hier noch später als im Westen heraus – dann allerdings mit gesteigerter Intensität, so dass eine Lockerung von Restriktionen in den 1980er Jahren nicht zuletzt auch damit zu erklären ist, dass Produktion und Distribution angesichts der fortgeschrittenen Technikentwicklung ohnehin nicht mehr ausreichend zu steuern oder zu reglementieren gewesen wären. Allerdings ist dies auch ein Zeitpunkt, zu dem die mehr oder weniger absolute Macht der großen Studios in den westlichen Ländern auch erstmalig massiv in Frage gestellt wird und diese an diversen Neuorientierungen und Profilschärfungen zu arbeiten beginnen.

Sicher liegt auch eine Ursache dafür, dass gerade in den Anfangsjahren elektronischen Komponierens in der DDR doch stärkere Parallelen zwischen anderen Gattungen und der elektronischen Musik im engeren Sinne vorhanden sind, darin, dass – mit kaum nennenswerten Ausnahmen – die elektronischen Komponisten aus der sogenannten „seriösen“ Komponistenausbildung kommen. Innerhalb des Systems in – verglichen mit anderen Kulturen – erstaunlich starkem Maße an der Rollenzuweisung und -teilung innerhalb des Studios festgehalten wird. Ein Typus des Techniker-Komponisten – wie in Frankreich oder den USA, partiell auch in Westdeutschland – bildet sich hier eigentlich nicht heraus. Es sind die Musiker, die die Technik erobern. Gerade für die frühen Jahre ist dies für jene DDR-Komponisten, die sich überhaupt mit elektroakustischem Komponieren auseinandersetzen, eine Richtung unter anderen. Hierin mag auch eine Erklärung für eine gewisse handwerklich ästhetische Nähe liegen zwischen Werken traditioneller instrumentalmusikalischer Gattungen und den die scheinbar neuen technischen Möglichkeiten einbeziehenden Stücken. Auf dieses traditionelle Komponistenbild hin ist auch die Arbeit in den DDR-Studios von den Anfängen (beim RTF in Adlershof) bis zu den Gründungen der späten Jahre (insbesondere an der Akademie der Künste Berlin) ausgerichtet. Elektroakustische Musik, die in der DDR entstanden ist, als homogene Grundgesamtheit zu betrachten, erscheint aber auch deshalb als problematisch, weil die vier Jahrzehnte währende Entwicklung so vielfältig und dispers ist. Die 40 Jahre, die die DDR währte, lassen sich auch in allen übrigen Kulturen nicht über einen Kamm scheren. Dies hat vor allem technische und nicht vordergründig soziale oder politische Gründe. Auch die Musiken, die in dieser Zeit im Umfeld von Köln, Paris oder Mailand entstehen, können – auch wenn man hier zweifelsfrei von echter Schulenbildung sprechen könnte – keinesfalls im Sinne einer homogenen Grundgesamtheit behandelt werden, weder handwerklich noch ästhetisch.

Auf jeden Fall aber genießt Elektroakustik im Verhältnis zu anderen Künsten in der DDR von vornherein und immer – bis zum Untergang des Staates – eine Art Sonderstatus. Dass hat mit ihrer semi-offiziellen Existenzberechtigung ebenso zu tun wie mit ihrer zwangsläufigen institutionellen Einbindung.

Radio als Rahmen

Wie überall in der Welt nimmt die elektroakustische Musik in der DDR ihre Anfänge im Umfeld des Radios, empfängt ihre wesentlichsten Impulse durch das Medium und hat aus den Studios und Redaktionen den stärksten Rückhalt. Ein wichtiger Punkt, wendet man sich dem DDR-Radio als Rahmen für frühe elektroakustische Entwicklungen zu, ist die Tatsache, dass das Radio der DDR zwar über verschiedene Sendestationen (zum Teil sogar mit eigener Programmgewalt) verfügte, dennoch in seiner Struktur – anders als vieles andere – ein extrem zentralistisches Gebilde war. Im Zusammenhang mit dem Forschungslabor für akustisch-musikalische Grenzprobleme sorgt vielfach für Verwunderung, dass die Einrichtung schließlich der Deutschen Post unterstellt war. Dies ist im Wesentlichen ein Ergebnis der grundsätzlichen Festlegung, dass alle technischen Einrichtungen für Produktion, Übertragung und Verbreitung von Rundfunksendungen der Deutschen Post gehörten. Für Studiotechnik wurde eigens eine Dienststelle „Studiotechnik Rundfunk“ eingerichtet. Angesichts dessen liegt jedoch auch die Vermutung nicht fern, dass sich eine frühe Elektroakustikszene gerade hier herausbilden konnte, weil sie eine Schwachstelle oder Nische zwischen den Kompetenzfeldern produktiv nutzte – Techniker und Ingenieure hatten wohl weniger Sorgen des Formalismusverdiktes wegen, während Komponistenverband und Kulturministerium hier jenseits ihres unmittelbaren Einflusskreises nur sporadisch wirksam werden konnten. Obendrein erschien im radiophonen Rahmen die (auch im Komponistenverband streng verfochtene) Trennung von sogenannter E- und U-Musik erheblich gelockert. Die Notwendigkeit, Radio generell auf zeitgemäßem Niveau anbieten zu müssen, stellte schließlich einen schützenden Rahmen für viele Tendenzen elektroakustischen Komponierens in der DDR dar.

Grundsätzlich spielte das Radio aber auch als bewusst, ebenso wie unbewusst eingesetztes Instrument der Gegenseite eine Rolle. Die Entwicklung elektroakustischer Musik in Ost-Deutschland ist insofern jener in den anderen osteuropäischen Staaten nicht vergleichbar, als der politische Gegner – Westdeutschland – nicht nur die gleiche Sprache sprach, sondern sich beinahe zwangsläufig auf die gleiche kulturelle Tradition berufen kann. Insofern hat die Konkurrenz eine entscheidende Funktion sowohl für das Vorankommen als auch für die Unterbindung bestimmter Bereiche elektroakustischen Musizierens.

Die Radiowellen waren durch keine Mauer aufzuhalten. Ungefiltert konnten beinahe alle Interessierten in der DDR wahrnehmen, was Rundfunknutzer im anderen deutschen Staat in gleicher Weise zur Kenntnis nehmen konnten.

Entwicklung elektroakustischer Musik in der DDR

Es mag zwar keinesfalls sinnvoll erscheinen, von der 40-jährigen Entwicklung elektroakustischen Komponierens in der DDR als von einer homogenen Einheit zu sprechen – nicht zuletzt, da wir es im Allgemeinen mit einer von starken technischen und gesellschaftlichen Umbrüchen behafteten Periode zu tun haben. Dennoch, so zeigen Archivrecherchen und Analysen, kann es im konkreten Fall durchaus gewinnbringend sein, von einer relativ abgeschlossenen Geschichte zu sprechen.

Es stellt sich folgendes Modell dar: Die Entwicklung elektroakustischer Musik in der DDR lässt sich sinnvoll als in drei Phasen ablaufend beschreiben bzw. in zwei Phasen und einer Zwischenphase. Dabei ist das Erstaunliche, dass es gerade diese Zwischenphase ist, die prägend für das relativ einheitliche grobe, aber allgemeingültige Bild von elektroakustischer Musik in der DDR ist. Das heißt in dieser Zwischenphase existierte keine offizielle Stelle, in der die Produktion elektroakustischer Musik vorgesehen war – elektroakustische Musik erwies sich als besonders einfallsreich, da sie sich im semioffiziellen Bereich, manchmal gar am Rande der Legalität abspielte.

Dies war etwa ab der Schließung des Klangforschungsbereiches des Labors für akustisch musikalische Grenzprobleme Anfang der 1970er Jahre der Fall und fand ein Ende zu Anfang bzw. in der Mitte der 1980er Jahre, als die Diskussionen um die Einrichtung des elektronischen Studios an der (Ost-)Berliner Akademie der Künste in eine produktive Phase eintraten, und im Theater im Palast der Republik bereits eine erfolgreiche Konzertreihe mit elektroakustischer Musik etabliert war.

Die vorhergehende Periode umfasst vor allem die Bemühungen im Labor für akustisch musikalische Grenzprobleme des RTF und schließt technisch, vor allem aber auch im ästhetischen Bewusstsein der unmittelbaren Akteure bzw. im Traditionsbewusstsein quasi nahtlos an die deutsche Vorkriegsentwicklung an.

Als dritte Phase sind schließlich die späten Jahre der DDR mit dem aufblühenden elektronischen Studio an der Berliner Akademie der Künste (ab 1986) und diversen sich entwickelnden Studios an Musikhochschulen bzw. im privaten Rahmen sowie diversen kleinen Festivals und Konzertreihen zu sehen, die elektroakustische Musik mehr als nur salonfähig machten. In der Bewertung dieser Phase darf der Musikhistoriker keinesfalls vergessen oder auch nur unterschätzen, dass die politische Wende im Herbst 1989 für nahezu alle Menschen in der DDR relativ überraschend kam. Das heißt jede Bewertung, die diese sehr fruchtbaren späten Jahre elektronischen Komponierens in der DDR lediglich als Übergangs- oder gar Überführungsphase zu einer Art freiheitlichen gesamtdeutschem Musikmarkt verstehen will, würde dieser Entwicklung überhaupt nicht gerecht.

Vielmehr ist festzustellen, dass die politischen Lockerungen, die nicht zuletzt auch mit dem Amtsantritt Michail Gorbatschows als Generalsekretär der KPdSU ab 1985 aus der Sowjetunion in das Land hineingetragen wurden, auch zu stärkerer ästhetischer und kulturpolitischer Offenheit führten, und dass die – ohnehin nicht mehr ausreichend kontrollierbaren – stetig wachsenden technischen Möglichkeiten in Wechselwirkung mit der umfassenden Informiertheit der Künstler im Osten vielmehr zu einer Art Konsolidierung einer eigenen Experimentalmusikszene führten.

Das erste elektronische Studio des Ostblocks stand in Berlin

Das erste Studio für elektronische Musik – auch wenn es nicht explizit diesen Namen trug – im europäischen Ostblock stand in Berlin, Hauptstadt der DDR, auf dem Gelände des Rundfunk- und Fernmeldetechnischen Zentralamts (RFZ) in Berlin-Adlershof. Gegründet wurde es 1956. Damals war das legendäre Studio im Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR) – dem späteren Westdeutschen Rundfunk (WDR) – in Köln gerade einmal fünf Jahre alt, die Institutionalisierung von Pierre Schaeffers Groupe de Recherche de Musique Concrète (GRMC) – der späteren Groupe de Recherche Musicale (GRM) – lag ebenfalls nicht länger zurück. Hermann Scherchens Studio für Forschungen auf dem Gebiet der Elektroakustik in Gravesano wurde nur zwei Jahre, das RAI Studio di Fonologia in Mailand nur ein Jahr vor der Einrichtung in Berlin-Adlershof gegründet. Das erste Studio im Ostblock nach jenem in der DDR wurde 1957 in Warschau eröffnet.

Die Geschichte des DDR-Studios, selbst die Tatsache seiner Existenz, ist dennoch kaum bekannt. Die Ursachen dafür mögen nicht zuletzt darin liegen, dass dieser Versuch relativ schnell – bereits 1970 – für beendet erklärt wurde; und damit die Möglichkeiten für elektroakustisches Musizieren in der DDR zunächst einmal grundsätzlich abgeschnitten wurden.

Wie der Name und die Anbindung der Einrichtung von vornherein verdeutlichen, war Hauptaufgabe des Labors eine – vornehmlich anwendungsorientierte – Forschungs- und Entwicklungsarbeit an den Schnittstellen von Musik und Technik. Angesichts der notwendigen Weiterentwicklung von Studio- und Übertragungstechnik für Radio und Fernsehen, war man bereit, etwaige musikalische Nebenprodukte billigend in Kauf zu nehmen, nicht zuletzt, weil die Rolle zeitgemäßer funktionierender Medien zur Stärkung des Systems hoch bewertet wurde. Insofern war es zunächst selbstverständlich, dass künstlerische Produktion vor allem im Sinne des Experimentellen und später allenfalls als Zulieferer für die entsprechenden Medien verstanden wurde. Dies schuf in gewissem Rahmen ästhetische Freiheiten.

Im Austausch mit Künstlern, Redakteuren und Tonmeistern der Rundfunkanstalten arbeiteten in dem Labor 16 Mitarbeiter – Techniker, Tonmeister, Ingenieure, Entwickler, Assistenten, sowie administratives Personal. Musiker wurden über Kompositionsaufträge an die Einrichtung gebunden. Nicht zufällig beriefen sich die Forscher und Verantwortlichen in Adlershof auf die Tradition der Rundfunkversuchsstelle, die von 1927 bis 1934 am Konservatorium in Berlin-Charlottenburg existiert hatte, und in der Techniker im Schulterschluss mit Künstlern – namentlich zu Aufnahme- und Übertragungsfragen – von Klang für die neuen Medien, vor allem das Radio, gearbeitet hatten. Neben diversen anderen akustisch-musikalischen und vor allem rundfunktechnischen Forschungsprojekten rückt ins Zentrum der Arbeit im Adlershofer Labor die Entwicklung eines elektronischen Musikinstrumentes, des Subharchords. Ziel war unter anderem auch die Einrichtung eines „Studios für künstliche Klang- und Geräuscherzeugung“ als eigenständiger Teilbereich – dieser existierte von 1960 bis 1970.

Das Subharchord

Ziel der Forschungsgruppe war zunächst die Entwicklung und Herstellung eines Mixturinstrumentes, das als praktischer Nachfolger des vor dem Krieg auf den Markt gebrachten Trautoniums intendiert war. Gerhard Steinke, Leiter des Labors, war bereits 1948 durch Hermann Scherchen auf die Spur eines solchen Gerätes gebracht worden. Verstärkt wurde der Impuls jedoch besonders durch Begegnungen mit Oskar Sala, der zu dieser Zeit noch im Westteil Berlins an seinem Mixturtrautonium arbeitete sowie an den Tests und Versuchen an einem im Funkhaus überlieferten – aber nicht funktionsfähigen – Quartett-Trautonium. Hauptentwickler des Subharchords war Ingenieur Ernst Schreiber.4Zur Funktionsweise des Subharchords und seiner Verwendung siehe Gerhard Steinke: Das Subharchord – ein Mittel zu neuer Klangkunst, in: Rundfunkjournalistik in Theorie und Praxis 1/6 (1965), 25–32; auch in: Musik und Gesellschaft 16 (1966), 729–733. Obwohl das Instrument zunächst als Kern eines elektronischen (vor allem wohl Rundfunk-)Studios gedacht war, bedient es äußerlich die Erwartungen an ein Spiel-, ja ein Konzertinstrument. Vor allem hatte dies wohl pragmatische Gründe: Ziel war niemals, einen spezialisierten, vornehmlich im Studio arbeitenden Techniker-Komponisten zu bedienen, sondern vielmehr einem Komponisten (und auch die DDR verabschiedete sich nie vollständig vom tradierten Bild des musikalischen Schöpfers) ein Werkzeug an die Hand zu geben, das weitgehend mit seinen Gewohnheiten kompatibel war. Insofern erschien als Schlussfolgerung aus den Erfahrungen mit bandmanualigen Vorbildern, die Entscheidung für ein Tastenmanual nur konsequent. Besonderes und viel beachtetes Charakteristikum ist das in diesem Maße erstmals in einem elektronischen Instrument realisierte Klangfarbenspiel. Ermöglicht wurde es über einen Satz sogenannter MEL-Filter, die auf der MEL-Tonhöhenskala basieren und über eine separate Klaviatur spielbar waren.

Dokumentiert ist zunächst ein reges internationales Interesse an dem neuen Klangerzeuger. Interessanterweise erlangen verglichen damit sowohl die Studioarbeit in Adlershof generell als auch die Existenz des Instrumentes in der DDR selbst wenig Bekanntheit.

Das musikalische Bild, das das Instrument hinterließ, ist nicht weniger ambivalent als seine Entstehungsgeschichte. Neben Produktionen für Radio, Fernsehen und sogar Kino entstehen im Adlershofer Studio auch im engeren Sinne autonome Konzertmusiken. Neben einigen regelmäßig für das Instrument arbeitenden Musikern – wie Hans-Hendrik Wehding oder Addy Kurth –, die das Instrument zur Produktion entweder launiger oder aber extrem traditionsverhafteter, immer aber konventioneller Konzertstücke einsetzen, werden im Studio und mit dem Subharchord aber auch Aufträge realisiert, die den Studiostand im Sinne avantgardistischer Vorstellungen von elektroakustischem Komponieren ausreizen – namentlich durch Bernd Wefelmeyer, Siegfried Matthus und Frederic Rzewski. Einen eigenen Weg, für das Instrument zu arbeiten, sucht sich Wolfgang Hohensee.

Ironie des Schicksals – ist die Blüte des Labors für akustisch-musikalische Grenzprobleme beinahe ebenso kurz, ihr Ende ebenso trostlos wie jenes der Rundfunkversuchsstelle. Und ebenso wie das NS-Regime im Falle der Rundfunkversuchsstelle wagte auch das politische System der DDR nicht den deutlichen und wesentlich auffälligeren Schritt einer offiziellen Schließung der Einrichtung, sondern ließ den Betrieb quasi im Sande verlaufen.

Die Zeit nach Schließung des Rundfunkstudios

Wenn etwas die Alltagskultur der DDR generell auszeichnete, so war es ein ganz bestimmter Einfallsreichtum, der aus der Mischung einer sozialen Notwendigkeit zu improvisieren und einem natürlichen, dem Bedürfnis nach sozialem Überleben geschuldeten Gespür für kommunikative Feinheiten resultierte, für ein gewisses Lavieren in den Grenzen des Legalen.

Im Bereich des elektroakustischen Komponierens, das zwangsläufig anders als vieles Andere an materielle und technische Voraussetzungen gebunden ist, muss eine solche Grundhaltung natürlich in ganz besonderem Maße prägend sein. Insofern ist ein Charakteristikum der in der DDR entstandenen elektroakustischen Musik und namentlich jener der prägenden Epoche zwischen der Existenz der beiden zentralen Studios – jenes, das bis Anfang der 1970er Jahre im Labor für akustisch-musikalische Grenzprobleme existierte und jenes anderen, das schließlich 1986 an der Akademie der Künste der DDR gegründet wurde –, dass ein gewisser Pioniergeist, den Musikhistoriographen normalerweise mit der Frühphase der elektroakustischen Musik verbinden, erhalten bleibt.

Die Situation nach der Einstellung der elektroakustischen Forschungsarbeit in Adlershof stellt sich in dieser Hinsicht im Groben folgendermaßen dar: Die Komponisten aus dem sogenannten E-Musik-Bereich, die im Studio experimentieren durften, waren sich durchaus der Begrenztheit der Möglichkeiten des Subharchords bewusst geworden und damit einer technischen Entwicklung, die in großem Maße auf diesem Apparat aufbaute. Die Orientierung auf die Strukturen eines Spielinstrumentes, die weitestgehende Beschränkung auf die temperierte Tonskala etc. blieben ein Problem. Insofern öffnet jenes Fehlen des offiziellen Produktionszentrums einer neuen Kreativität Tür und Tor. Über eine Produktion jenseits staatlicher Studiokonvention nachzudenken, eröffnete so auch die Möglichkeit, dieses Denken zunächst freiheitlicher oder zumindest nicht unter Fokussierung auf die entsprechenden Rechtfertigungsstrategien ablaufen zu lassen. Die Wahl eines Textes von Beckett wie etwa im Falle Paul-Heinz Dittrichs wäre vermutlich im Labor für akustisch-musikalische Grenzprobleme ebenso wenig machbar gewesen wie die Produktion eines Stückes wie des in Bourges preisgekrönten Maikäfer flieg von Lothar Voigtländer.

Auch wenn es im Zusammenhang mit Aufführungen umso mehr zu Reglementierung und Einschränkungen kam, so ist die Folge dieser neuen Kreativität eben eine deutliche Liberalisierung auf Seiten der Produktion. Paradoxerweise entsteht eine wirklich im ästhetischen Empfinden den westlichen Entwicklungen vergleichbare Elektroakustikszene mit DDR-spezifischen Strukturen erst in dem Moment, als der Versuch des ersten Studios im europäischen Ostblock gescheitert ist. In ihrer Verstreutheit breitet sich diese Musik in den verschiedensten Nischen aus und entzieht sich mehr und mehr der Kontrollierbarkeit. Die wachsenden Möglichkeiten von Home- oder Low-Budget-Studios verändern das gesamte Erscheinungsbild der Elektroakustik-Szene weltweit. Dennoch ist ein entscheidender Moment in diesem Zusammenhang, dass für diese Zwischenphase keinesfalls von einer grundsätzlichen Offizialisierung elektroakustischer Musik die Rede sein kann; eine solche setzt erst Mitte der 1980er Jahre wirklich ein. Vielmehr ist eine interessante Konsequenz dieser Semioffizialität, die natürlich staatlicherseits argwöhnisch beäugt wurde, dass sich absolut dezentralisiert eine lebendige Szene herausbildet. Überraschend viele und vielfältige kleine Festivals entstehen, Konzerte in Galerien präsentieren Ergebnisse, Vorträge und Gesprächskonzerte im Rahmen der Kirche popularisieren auch elektroakustische Musik. Die Gründung des Ensembles für Intuitive Musik Weimar (EFIM) fällt ebenso in diese Zeit wie jene der Geraer Ferienkurse für zeitgenössische Musik. Da mehr und mehr in Homestudios oder aber im Ausland produziert wurde, ist es absolut ausgeschlossen, einen einigermaßen repräsentativen Überblick zu den in diesem Zeitraum von DDR-Komponisten geschaffenen Werken mit Elektronik zu präsentieren.

In dem komplizierten Gefüge von Faktoren, die ab der zweiten Hälfte der 1970er Jahre die Entwicklung von elektroakustischer Musik in der DDR begünstigten, scheinen neben politischen und technischen Faktoren zunächst vor allem veränderte personelle Voraussetzungen entscheidend zu sein, namentlich die Herausbildung einer Generation von im eigentlichen Sinne Komponisten elektroakustischer Musik, die in Vermögen und Anspruch jener im Westen sich zeitgleich etablierenden durchaus vergleichbar ist.

Es mag viele Gründe haben, dass die DDR-Komponisten oft den ‚Umweg‘ über Frankreich – also nicht die BRD – nahmen, und dass auch ein italienischer Einfluss deutlicher wird, um zur Elektroakustik zu kommen.

Entscheidend in der besagten Generation sind aber die Ergebnisse, die erstaunlich unabhängig und individuell, vielfach gewissermaßen kompromissloser sind als zeitgleich im Westen Entstehendes.

Zentrale und prägende Vertreter dieser Generation sind zweifelsohne Georg Katzer und Lothar Voigtländer. Beide suchen bewusst und kompromisslos ihren Weg zur Elektronik und beschreiten – auch wenn ihre ästhetische Grundhaltung extrem verschieden ist – gleiche und ähnliche Pfade. Ein wichtiges Zentrum experimenteller Musik generell – und so auch elektroakustischer Musik – entwickelt sich ab 1976 im Palast der Republik in Form der Studiobühne „Theater im Palast“ (TiP). Das ca. 250 Zuschauer fassende TiP wurde mit einem kleinen, aber zumindest ausreichend ausgestatteten elektronischen Studio versehen. Mit dem Tonmeister Eckard Rödger und dem Dramaturgen Manuel Neuendorf wurden zwei absolute Spezialisten für Neue und namentlich elektroakustische Musik ans TiP geholt, die dort nicht nur bestens besuchte Konzertreihen mit elektroakustischer Musik aus aller Welt installierten, sondern die Einrichtung zu einem festen Produktionszentrum machten. Ein Austausch mit dem Experimentalstudio des SWR (Heinrich-Strobel-Stiftung) wurde eingerichtet.

Die Beweggründe, aus denen heraus die Begründung einer Ländervertretung der DDR in der CIME in Bourges zustande kam, mögen aus heutiger Sicht eher paradox anmuten.

Katzer und Voigtländer verstanden es, die offiziellen Argumentationsstrukturen des Landes hierfür auszunutzen. Die Gründung geht fast ausschließlich auf beider Initiative zurück. In einem komplizierten Antragsverfahren durch alle Gremien und Behörden setzten sie mit der Gründung auch etwas durch, das in einem Land, in dem Reisefreiheit nicht nur sehr eingeschränkt, sondern quasi nicht vorhanden war, eigentlich undenkbar war: ein kontinuierlicher internationaler Austausch jenseits der üblichen Politik der „Bruderländer“.

In diesem Zusammenhang muss aber auch die Gründung der Gesellschaft für elektroakustische Musik in der DDR gesehen werden, sie war Voraussetzung für den Auftritt innerhalb der CIME. 1988 und 1989 veranstaltete die Gesellschaft jeweils einmal nationale Werkstatttage für elektroakustische Musik, die vor allem eine Plattform für die sich neu formierende DDR-Elektroakustikszene sein sollten. Letztlich erscheint es als Ironie des Schicksals, dass die gesamtdeutsche, 1991 als DecimE gegründete DEGEM (Deutsche Gesellschaft für Elektroakustische Musik e.V.) aus dieser DDR-Gründung hervorgegangen ist.5A.R. [= André Ruschkowski]: „Auftakt für DecimE. 4. Werkstatt elektroakustischer Musik in Berlin“, in: Motiv 4/5 (Oktober 1991), 88.

Trotz allem aber ist wohl der entscheidende Schritt zur Etablierung und vor allem Offizialisierung der elektroakustischen Musik in der DDR die Gründung des elektronischen Studios an der Akademie der Künste der DDR, die schließlich 1986 vollzogen werden konnte. Bedenkt man, dass dieses Studio also eigentlich nur noch drei Jahre hatte, um sich bis zum Ende der DDR zu profilieren, so spiegelt diese kurze Entwicklung ungeheure Energie. Manfred Machlitt fasst die Entwicklung zusammen: „In den ersten Jahren nach der Gründung des Akademie‐Studios war noch keine kontinuierliche Arbeit möglich. Es entstanden acht elektroakustische Kompositionen.“6Manfred Machlitt: „… zur hindernislosen Technik, zur tonlichen Unbegrenztheit“. Eine Skizze zu Traditionsbezügen, Entstehung und Arbeit des Studios für elektroakustische Musik der Akademie der Künste der DDR, in: Akademie der Künste der Deutschen Demokratischen Republik (Hg.): Mitteilungen 27/4 (Juli/August 1989), 7–9, 8; auch in: Inventionen ’90, Programmheft, 52–59. Ab Februar 1988 stieg die Produktion in dem Studio sprunghaft an. „Bis Juni 1989 wurden 30 Bänder realisiert – Zuspielbänder für Soloinstrumente, Kammerensembles bzw. Orchester, „reine“ Tonband‐Kompositionen, Theatermusiken, Video-, Dokumentar- und Spielfilmmusiken. Außerdem ermöglichten die Mitarbeiter des Studios Live-Elektronik-Aufführungen in- und außerhalb der Akademie.“7Ebd.

Dem vorausgegangen war ein langwieriges Genehmigungsverfahren, in dem die Beschaffung und Finanzierung von Geräten eine mindestens ebenso große Rolle gespielt hat wie ästhetische und politische Fragen. Die Diskussion darum dauerte seit 1973 an. Die Beteiligten nutzten die Zeit der Beantragung aber auch zur Etablierung einer elektroakustischen Szene. Katzer führte Seminare nicht nur für Meisterschüler der Akademie durch, sondern für einen weiteren Kreis Interessierter – eingeschlossen Wissenschaftler, Techniker und etablierte Komponisten.

Formation einer vollwertigen Generation von Komponisten elektroakustischer Musik in den letzten Jahren der DDR

Als im Herbst 1989 die Berliner Mauer fiel, war das Studio an der Akademie der Künste gerade drei Jahre alt. Ein Blick in die Geschichte der elektroakustischen Musik lehrt, dass drei Jahre mit Sicherheit nicht ausreichend sind, um so etwas wie eine Schule oder gar eine eigene „Studioästhetik“ zu etablieren. Ein mehrstündiges Radiofeature8Der Radio-DDR-Musik-Klub, DRA, STMG s6494 A–B. sollte 1988/89 einem relativ breiten Publikum Einblick in die Arbeit des noch jungen Studios gewähren, das damit letztlich zumindest über einen Großteil der DDR‐Produktionen der späten Jahre einen durchaus umfassenden Überblick gibt. Dieser Beitrag kann nicht nur im Sinne eines einführenden Überblicks interessant sein, sondern auch eines Bildes der die letzten DDR-Jahre dominierenden Offenheit bzw. eines Vakuums, in denen den neuen Formen der Klangkunst mit einer merkwürdigen Mischung aus Naivität und Vorsicht bzw. Reflektiertheit begegnet wird. Gerade auch elektroakustisches Arbeiten wurde – nicht zuletzt in Verbindung mit dem immer offensichtlicheren Existieren von akzeptabel ausgestatteten Heimstudios – nun auch in anderen künstlerisch-intellektuellen Kontexten befördert; vielfach waren es die Schauspielkapellmeister an den Stadttheatern, die aus den entsprechenden Möglichkeiten neben dem Reiz des Neuen, Experimentellen schlicht auch einen gewissen praktischen oder pragmatischen Nutzen ziehen konnten, zumal die Produktion von Zuspielbändern für das Sprechtheater längst schon ein probates Mittel war.

Lediglich die Stärke oder Unabhängigkeit der Personalstile der entsprechenden Komponisten, gerade einer sogenannten jüngeren Generation, fällt ins Auge. Als ein weiteres großes Zentrum neben dem Akademiestudio bildete sich die Musikhochschule Dresden heraus; hinzu kam das, was Lothar Voigtländer aus den Geraer Ferienkursen heraus entwickelte.

Grundsätzlich ist zu beobachten, dass sich – auch wenn eine intensivere ästhetische Bezugnahme ausbleibt – zum ersten Mal eine Generation von Komponisten in der DDR herausbildet, die im elektroakustischen Komponieren auf etwas Bezug nehmen, an etwas anschließen kann und – wenn auch noch in relativ offener und variierender Form – diverse vorgeprägte Curricula durchlaufen kann, um ein erkennbares Ziel zu erreichen, ein in durchaus akzeptablem Maße als solches anerkanntes Handwerk zu erlernen.

Da nach wie vor die Wege, über die man die eigene Berufung zum elektroakustischen Komponieren entdeckt, sehr verschieden und durchaus verschlungen sind, präsentiert sich diese Generation, die ihre Ausbildung in dieser Spätphase der DDR-Elektroakustik erfahren hat, nicht als im Sinne von Geburtsjahren homogen. Es handelt sich um Musiker, die auf relativ geebnetem Weg den Impuls, derartige Klangkunst gestalten zu wollen, im Lande selbst empfangen und über die eine oder andere genannte Institution einen doch weitgehend vorgeprägten Bildungspfad beschreiten, zumindest verhältnismäßig offiziell Rat suchen können. Zu den älteren unter den jungen DDR‐Komponisten gehört mit Sicherheit Helmut Zapf (Jahrgang 1956), der über diverse Begegnungen mit bereits in der DDR aktiven Elektroakustikern (Hintzenstern, Voigtländer usw.) verhältnismäßig spät diese Richtung für sich entdeckt. Er studiert zunächst Kirchenmusik, ist Organist und Chorleiter und empfängt die ersten elektroakustischen Weihen bei den Geraer Ferienkursen für zeitgenössische Musik und somit durch Lothar Voigtländer. Er ist noch in den Jahren vor Gründung des Akademiestudios Meisterschüler von Georg Katzer an der Akademie der Künste und wird schließlich zu einem der konsequentesten Verfechter elektroakustischer Kompositionstechniken.

Hans Tutschku auf der anderen Seite kann als exponierter Vertreter einer Gruppe gesehen werden, die ihre wesentliche musikalische Prägung durch die gleichermaßen starke Erfahrung der Ost- wie der Westausbildung erhalten haben. 1966 geboren, stößt Tutschku extrem früh auf Michael von Hintzenstern und dessen Ensemble für Intuitive Musik Weimar (EFIM), entdeckt zunächst den Synthesizer für sich und nach und nach die ganze Breite elektroakustischen Komponierens. In den letzten DDR-Jahren studiert Tutschku in Dresden Komposition – dies war damals bereits sowohl mit Ausrichtung auf traditionelle als auch elektroakustische Musik möglich. Musiker wie Lutz Glandien (Jahrgang 1954), der nach einer klassischen Kompositionsausbildung an der Musikhochschule „Hanns Eisler“ und dem Meisterstudium an der Akademie sowie intensiver Theaterarbeit einen bewussten und relativ vollständigen Bruch mit traditionellen Formen und Stilen wagt und das Studio als eine Art kulturellen Fluchtpunkt schafft, können in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben. Vereinzelt begegnet man aber auch Biografien wie jener von Ralf Hoyer (Jahrgang 1950), der einen Weg zur Elektroakustik geht, wie er auch jenseits der Mauer in dieser Zeit absolut typisch gewesen wäre: der Ausbildung zum Tonmeister folgt das Meisterstudium in Komposition an der Akademie der Künste (bei Georg Katzer und Ruth Zechlin). Früh kann sich der Katzer-Schüler in Bourges präsentieren und konsequent eine Kunstrichtung – vor allem durch Installationen – für die DDR prägen.

Mehr noch als im Falle von elektroakustischer Musik im Allgemeinen stellt die Geschichte der elektroakustischen Musik in der DDR nach wie vor ein Forschungsdesiderat dar. Es liegen einige wenige Einzelveröffentlichungen zum Gegenstand, namentlich technikhistorische Betrachtungen und vornehmlich analytische Einzelstudien vor, wobei offensichtlich ist, dass der politisch-ästhetische Kontext – zumindest latent – methodologische Offenheit einschränkt und die geringe Bekanntheit und das nahezu vollständige Fehlen der Musiken im Repertoire ebenso eine Hürde für die Auseinandersetzung darstellt wie fehlende oder schwer erreichbare technische Voraussetzungen zur Erschließung des Repertoires.

Literatur

Böhme-Mehner, Tatjana: Creating Sound Behind the Wall: Electroacoustic Music in the GDR (= Contemporary Music Review, 30/1 [2011]).

Katzer, Georg: „Fahrtenbuch“, in: Positionen 22 (1995), 28f.

Oelers, Harriet: Elektroakustische Musik in der DDR. Rezeption, Institutionen und Werke (= KlangZeiten, Bd. 18), Köln, Wien u.a. 2021.

Dies.: Klein-Darmstadt im Vogtland? Die Geraer Ferienkurse für zeitgenössische Musik und ihre Bedeutung für die Entwicklung elektroakustischer Musik in der DDR, in: Ulrich Tadday (Hg.): Musik der DDR? Komponieren im real existierenden Sozialismus, München 2022, 144–152.

Anmerkungen

  1. Vgl. auch Michael Berg, Knut Holtsträter und Albrecht von Massow (Hg.): Die unerträgliche Leichtigkeit der Kunst. Ästhetisches und politisches Handeln in der DDR, Wien u.a. 2007.
  2. Vgl. hierzu auch Nina Noeske: Musikalische Dekonstruktion. Neue Instrumentalmusik in der DDR, Köln u.a. 2007.
  3. Vgl. zum Problem Bezirksstruktur und Musikbetrieb auch Gilbert Stöck: Neue Musik in den Bezirken Halle und Magdeburg zur Zeit der DDR. Kompositionen, Politik, Institutionen, Leipzig 2008.
  4. Zur Funktionsweise des Subharchords und seiner Verwendung siehe Gerhard Steinke: Das Subharchord – ein Mittel zu neuer Klangkunst, in: Rundfunkjournalistik in Theorie und Praxis 1/6 (1965), 25–32; auch in: Musik und Gesellschaft 16 (1966), 729–733.
  5. A.R. [= André Ruschkowski]: „Auftakt für DecimE. 4. Werkstatt elektroakustischer Musik in Berlin“, in: Motiv 4/5 (Oktober 1991), 88.
  6. Manfred Machlitt: „… zur hindernislosen Technik, zur tonlichen Unbegrenztheit“. Eine Skizze zu Traditionsbezügen, Entstehung und Arbeit des Studios für elektroakustische Musik der Akademie der Künste der DDR, in: Akademie der Künste der Deutschen Demokratischen Republik (Hg.): Mitteilungen 27/4 (Juli/August 1989), 7–9, 8; auch in: Inventionen ’90, Programmheft, 52–59.
  7. Ebd.
  8. Der Radio-DDR-Musik-Klub, DRA, STMG s6494 A–B.

Autor:innen

Erwähnt in

Experimentelle Musik

Zitierempfehlung

Tatjana Böhme-Mehner, Artikel „Elektronische Musik“, in: Musikgeschichte Online, hg. von Lars Klingberg, Nina Noeske und Matthias Tischer, 2018ff. Stand vom 15.05.2023, online verfügbar unter https://mugo.hfmt-hamburg.de/de/topics/elektronische-musik, zuletzt abgerufen am 29.03.2024.